Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
außerhalb des Hauses getan“, sagte der Schmerztherapeut abwehrend. „Deshalb sollten wir die Sache auf sich beruhen lassen.“
„Ich werde ihr deutlich sagen, dass Drogen im Haus verboten sind. Sonst kann Frau Nisse nicht hier bleiben.“ Andreas klang erbarmungslos. Der Psychologe blickte zum Wintergarten. „Jetzt weiß ich, warum es hier drinnen zieht… Dort ist ja ein Fenster offen! Bitte schließen Sie es, Bruno!“
Der Pfleger kam dem Befehl nach.
Draußen biss Minnie sich auf die Lippen. Zwar drangen noch einzelne Wortfetzen zu ihr, aber sie konnte sie nicht mehr zusammensetzen. Zu ärgerlich! Eine Analyse der eigenen Person blieb ihr also verwehrt. Und über den letzten Gast von Haus Holle, den Mann, der nicht mehr schlucken konnte, hatte sie auch nichts erfahren.
Beim Abendessen lag etwas in der Luft. Erstmals trug Omi die rote Perücke. Das bedeutete, dass sie selbst nicht wusste, wie es ihr ging. Neugierig lauschte sie den Erzählungen der Hundezüchterin, die der Tischrunde seit einigen Minuten alles über ihren inneren Gemütszustand verriet.
„… und so habe ich mich am frühen Abend wieder gefasst“, erklärte Frau Prinz. „Es wird schon irgendwie weiter gehen. Meine Tochter meint, wir hätten noch genug Geld, um unsere Rechnungen zu bezahlen. Allerdings muss ich morgen früh einen Immobilienmakler anrufen, um meine Eigentumswohnung verkaufen zu lassen. Hoffentlich erziele ich einen fairen Preis – und hoffentlich bleibt am Ende noch etwas für das Erbe übrig.“
Die Hundezüchterin wandte sich Bella zu. „Wie war Ihr Besuch vom Bestatter?“
„Wir haben einen Komplettpreis vereinbart“, antwortete die frühere Schönheitskönigin. „Ich bekomme alles zusammen für 400 Euro – einen Billigsarg inklusive Einäscherung und Trauerfeier. Meine Grabrede haben wir auch schon aufgesetzt.“ Bella stand auf und verabschiedete sich von der Tischrunde. „Gute Nacht, allerseits! Ich bekomme noch Besuch…“
„Nicht, dass Sie wieder die ganze Nacht durchmachen“, rief ihr Marisabel Prinz nach. „Wer sich so sehr verausgabt, den verlassen am Ende die Kräfte. Das habe ich auch Annette geraten, die heute Angie’s Wohnung einweiht.“
„Liebe Frau Prinz! Damit Sie nicht die Kräfte verlassen, gibt es erst mal Vitamine!“ Koch Kostja servierte das Nachtmahl.
Zu Minnies Erstaunen hatte sich auch Adolf – trotz des gestrigen Disputs mit Marisabel – wieder zum Essen eingefunden. Er bestellte sich ein Bier. Erstaunt sah Dr. Albers auf. Gerade brach Montrésor ein ungeschriebenes Gesetz – schließlich war er ein trockener Alkoholiker. Der Ex-Manager ignorierte den Blick des Psychologen, und kippte sein Jever hinunter. Kurz darauf bestellte er ein zweites Bier, und die Runde löste sich auf. Frau Prinz klagte über ein Stechen in den Rippen, Omi war übel vom Essen. Professor Pellenhorn verließ den Tisch als vorletzter. Als er über den Flur geschoben wurde – der Ex-Politiker ging immer zeitig zu Bett, weil er vormittags ein Sprachtraining mit einer Logopädin hatte – rollte ihm Gertrud Knopinski entgegen.
Minnie sah die mollige Dame zum ersten Mal im Rollstuhl. Frau Knopinski hatte sofort eine Erklärung parat. „Abends bin ich manchmal schwach“, verriet die uralte Dame, und blinzelte Kostja zu. „Wenn ich Ihre köstlichen Antipasti verspeist habe, werde ich gleich wieder bei Kräften sein. Heute nehme ich das Essen mit nach oben. Ich möchte auf meinem Zimmer speisen.“ Sie bat den Koch um einen weiteren Gefallen. „Bitte geben Sie mir noch eine Portion für meinen Mann mit. Er ist gerade erwacht, und hat ebenfalls Heißhunger.“
Kostja erfüllte ihren Wunsch umgehend, und Gertrud wünschte Minnie eine geruhsame Nacht.
Doch dass den Bewohnern von Haus Holle das Gegenteil bevorstand, würden sie erst am nächsten Morgen wissen.
Der Doppelmord
Es war halb neun, als Bruno und der dünne Dietmar die Nachtschicht vorbereiteten. Von 21 Uhr bis sieben Uhr morgens würden sich zwei ihrer Kollegen, Hendrik und der dicke Dietmar, um das Wohl der Bewohner kümmern.
Gerade wollte Dietmar den Safe mit den Medikamenten öffnen. Doch die Tresortür stand bereits auf. Verdutzt rief er: „Jemand hat vergessen, den Pillenschrank abzuschließen!“
Kritisch musterte er den Inhalt. „Laut der Ausgabeliste und dem Bestand fehlen 14 Tavor-Tabletten“, sagte Dietmar.
„Wirklich?“, fragte Bruno. „Die müssen auf das Konto von Herrn Powelz gehen. Er litt den
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