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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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war Berthold noch ein junger Lokalpolitiker, der schon promoviert hatte. Nach unserer Hochzeit zogen wir nach Stuttgart. Später ging es dann nach Bonn, wo er im Innenministerium arbeitete. Das war eine harte Zeit – und eine Belastung für unsere junge Ehe. Anfangs sahen wir uns nur im Wochenrhythmus, dann zwei Monate lang nicht. Doch auf eines war immer Verlass: Wenn Berthold nach Hause kam, wartete schon ein schmackhaftes Gericht auf ihn. Ich habe 44 Jahre lang für ihn gekocht. Später zogen wir nach Berlin, dann nach Vilnius, Rostock, Hannover und München. Bis zu Bertholds Schlaganfall. Doch genau wie die jahrelangen Repräsentationspflichten, Empfänge und Universitätsvorlesungen überstand mein starker Ehemann auch die Folgen dieses Schicksalsschlages mit Bravour – und ohne Klagen. Für mich war es völlig normal, ihn immer zu unterstützen. Mein Motto lautet: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine erfolgreiche Frau .“
    „Was hat Ihnen Ihr Mann zurückgegeben?“, fragte Mike.
    „Seine ganze Liebe“, antwortete Barbara Pellenhorn so schnell, dass ihr der Reporter auf Anhieb glaubte. „Seine ganze Liebe, seine ganze Stärke und seinen größten Respekt. Wissen Sie, ich entstamme in etwa derselben Generation wie Hannelore Kohl. Ich konnte schon immer mit Entbehrungen leben, und gut damit umgehen, dass wir ein ganz anderes, durch die Politik bestimmtes Leben führten als unsere Nachbarn, die im Sommer nach Rimini oder Belize reisten und Jahrzehnte später nach St. Tropez oder an die Adria.“
    „Was gab Ihnen diese Kraft?“
    „Ich glaube, dass ich durch den letzten Kriegswinter abgehärtet wurde. Damals musste ich an den Wochenenden, ich glaube, ich war erst elf Jahre alt, in Döbeln einen so genannten Bahnhofsdienst leisten – und Verwundete, die von der Russischen Front mit Zügen hergebracht wurden, versorgen. Ich sah viele Tote. Das war eine heilsame Erfahrung.“
    „Inwiefern?“, wollte Mike wissen.
    „Nun“ – Barbara Pellenhorn holte mit der Hand aus und hüstelte – „wenn es Sie wirklich interessiert… Ich wandte mich danach von Gott ab.“
    „Warum?“
    „Weil ich so viel Schreckliches gesehen habe! Zum Beispiel erfrorene Babys. Als wir unsere Hochzeit planten, bat ich Berthold nur um eines – nicht vor den Alter treten zu müssen. Das Standesamt reichte mir völlig. Meine Erfahrungen hatten mich gelehrt, dass Gott, sofern es ihn gibt, großes menschliches Unrecht zulässt. Den Segen dieses Gottes brauche ich nicht , dachte ich damals. Lieber vertraue ich auf die Natur, dank der die Blätter zwar auch vom Baum fallen, aber im nächsten Frühling erneut sprießen . Wie mein Mann betrachte auch ich das Werden und Vergehen aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive.“
    „Was denken Sie über die Religion?“
    „Religion ist von Menschen gemacht und missbraucht worden“, sagte Barbara Pellenhorn. „Und mehr noch: Mithilfe der Religion wurde den Menschen Angst gemacht. Mein Mann und ich fühlen uns im Wald und in der Natur dem Göttlichen näher als in der Kirche.“
    „Aber fällt es Menschen Ihrer Generation nicht schwerer, ohne kirchliche Werte zu leben?“ Der Journalist wollte die Pellenhorns wirklich verstehen.
    „Keineswegs“, sagte Barbara Pellenhorn. „Den Wert des Lebens haben wir für uns so definiert: Wichtig ist nicht die Anhäufung materiellen Reichtums und dass man Kinder bekommt, was uns leider verwehrt geblieben ist, sondern, dass man sich das Leben nicht schwer macht und es in vollen Zügen genießt. Dann kann man es am Ende loslassen – und sich von einer 190 Quadratmeter großen Luxuswohnung verabschieden, um am Ende, ganz ohne Zorn, in einem Zimmer wie diesem zu leben.“
    „Trotzdem habe ich gehört, dass Ihrem Mann etwas auf der Seele lastet“, hakte Mike nach. „Neulich im Esszimmer…“
    „Ach das!“, sagte Barbara Pellenhorn ablehnend. „Das war bloß…“ Sie wurde unterbrochen, denn plötzlich gluckste Professor Pellenhorn laut. „Auuuuuuu…“, stieß er schwach hervor.
    „Nicht doch, mein Lieber“, versuchte ihn seine Frau zu beruhigen. „Bitte rege Dich nicht auf.“
    Berthold Pellenhorn jedoch war nicht zu bremsen. „Auuuuuu…“ Seine Lider flackerten wild.
    Sofort drückte Barbara auf den Alarmknopf und ließ ihn erst los, als der dicke Dietmar und Dr. Albers in sein Zimmer stürzten.
    „Auuuuuuuu…“, gurgelte Berthold. „Auuuuuuuuuuu…“
    Nachdem Dietmar ihm eine Spritze gegeben – und Andreas seine

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