Die Flotte von Charis - 4
ihnen entweder noch im Kanonenrohr detonieren oder unmittelbar nach dem Abschuss. Es ist einfach schwierig, sie dazu zu bringen, irgendetwas ganz toll zu finden, wenn es sie wahrscheinlich umbringen wird, versteht Ihr?«
»Na ja … doch, das verstehe ich schon«, erwiderte Merlin lächelnd. Dann zupfte er sich erneut am Schnurrbart, und aus seinem Lächeln wurde ein Stirnrunzeln, als er erneut nachdachte.
»Sagen Sie«, ergriff er schließlich wieder das Wort, »nach allem, was Sie bislang berichtet haben, klingt das für mich ganz danach, als hätten Sie die Geschütze so geladen, dass der Zünder unmittelbar oberhalb der Treibladung zu liegen kommt.«
Seamount nickte, und Merlin hob eine Augenbraue.
»Haben Sie schon einmal in Erwägung gezogen, Ihre ›Granate‹ so in das Rohr einzuführen, dass der Zünder der Treibladung genau gegenüber liegt?«
»Was?« Seamount legte die Stirn in Falten.
»Ich hatte gefragt, ob Sie …«
»Einen Moment!« Abwehrend hob Seamount die Hand, und der untersetzte Commodore kniff fest die Augen zusammen, so angestrengt dachte er nach. Dann nickte er. Zunächst langsam und bedächtig, dann immer rascher.
»Natürlich! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Der Blitz der Treibladung hüllt das Geschoss von allen Seiten ein, oder nicht?«
»Das denke ich doch«, pflichtete Merlin ihm bei.
»Natürlich! Das kann ja gar nicht anders sein. Und wenn er dann das ganze Projektil einhüllt und den Zünder von vorne in Brand steckt, statt dass dieser durch die Wucht der Treibladung in das Geschoss hineingetrieben wird …«
Seamount trat an eine der schiefergetäfelten Wände heran, griff hastig nach einem Stück Kreide und machte sich einige Notizen. Dann las er sie durch, schüttelte ungeduldig den Kopf, wischte eine Zeile aus und korrigierte etwas, nickte dann erneut und blickte über die Schulter hinweg zu Merlin hinüber.
»Ihr seid wirklich sehr hilfreich, Seijin Merlin«, merkte er nüchtern an. »Ihr solltet öfter vorbeikommen. Irgendwie gelingt es Euch immer, mich in genau die richtige Richtung zu lenken, nicht wahr?«
»Man bemüht sich«, murmelte Merlin.
»Oh ja, das glaube ich wohl«, stimmte Seamount ihm zu.
»Gab es noch irgendetwas anderes, womit ich Ihnen behilflich sein könnte, Mein Lord?«, versuchte Merlin möglichst unbemerkt das Thema zu wechseln.
»Eigentlich gibt es sogar noch zwei weitere Probleme, zu denen ich gerne Eure Meinung hören würde.«
»Selbstverständlich, Mein Lord.«
»Beide haben mit den neuen Geschützen mit gezogenen Läufen zu tun«, setzte Seamount zur Erklärung an. »Ich habe verschiedene Versuche unternommen, die Geschosse dazu zu bringen, die Züge auch zu nutzen. Recht vielversprechend sah der Ansatz aus, die Geschosse mit irgendeinem weichen Metall zu umhüllen, Blei vielleicht; das könnte dann in die Züge gepresst werden, so wie das auch bei den neuen Gewehrkugeln funktioniert. Bedauerlicherweise schält sich das Blei immer wieder ab, und die Geschosse nutzen die Züge nicht kontinuierlich.
Einer meiner schlauen jungen Assistenten hat vorgeschlagen, wir könnten die Bohrung des Rohres ja in Schraubenlinienform anlegen, sodass sie in sich verdreht ist. Keine ganz runde Bohrung, versteht mich recht, sondern etwas trapezförmiger, und die sollte dann um die eigene Mittelachse verdreht sein, sodass es dem Geschoss eine Rotation praktisch aufzwingen würde, ohne dass Züge überhaupt erforderlich wären. Um ehrlich zu sein, ich glaube, das könnte sogar funktionieren, aber ich mache mir Sorgen, dass das Rohr zu schnell ausbrennen könnte. Deswegen bin ich immer noch davon überzeugt, dass doch irgendeine Art von Zügen im Rohr des Problems Lösung ist; die Frage ist nur, ob man sich irgendetwas überlegen kann, wie man das Geschoss dazu bringt, mit diesen Zügen auch hinreichend in Kontakt zu treten.
Bislang war das Vielversprechendste, den Korpus des Geschosses mit Metallbolzen zu versehen.« Das Stück Kreide hämmerte einen Stakkato-Rhythmus an die Tafel, als Seamount parallel zu seiner Erklärung eine Skizze erstellte. »Wie Ihr seht, ist der Grundgedanke, dass die Schützen, wenn sie das Geschoss in das Rohr schieben, diese Bolzen genau in die Züge einführen. Dann gleitet das Geschoss von alleine bis zum Ende des Rohres, dreht sich dabei natürlich um die eigene Achse, bis es dann schließlich auf der Treibladung zu liegen kommt. Wird diese gezündet, dann wird das Geschoss entsprechend wieder durch die Züge
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