Die Flotte von Charis - 4
dass die Kanonen selbst schlichtweg gewaltige Ausmaße haben müssten − wahrscheinlich mindestens so groß wie die alte Große Todeswal.«
Die, ging es Merlin durch den Kopf, immerhin fast sechs Tonnen wiegt.
»Und was wollen Sie stattdessen verwenden?«, erkundigte sich Merlin.
»Im Augenblick denke ich viel über Schmiedeeisen nach«, antwortete Seamount − was Merlin nicht sonderlich überraschte. »Das wird natürlich teuer − teurer noch als Bronze −, aber Meister Howsmyn sagt, dieser Aufgabe seien seine Hüttenmeister gewachsen. Wahrscheinlich hat er damit auch recht, aber zuverlässige Kanonenrohre aus Schmiedeeisen fertigen zu lassen wird auch im Hinblick auf die Fertigungszeit sehr kostspielig werden.«
Wieder nickte Merlin. Es waren nicht die Schwierigkeiten, auf die Seamount hier gestoßen war, die ihn überraschten. Tatsächlich rührte seine Überraschung eher daher, wie rasch der Charisianer auf diese Schwierigkeiten gestoßen war. Eigentlich ziemlich dumm von mir, dachte er. Sir Ahlfryd Hyndryk hatte bereits deutlich unter Beweis gestellt, dass sein Verstand ebenso rasch und konzentriert arbeitete wie der von Prinz Nahrmahn, wenngleich auch auf einem gänzlich anderen Gebiet.
Das Problem war − wie Seamount gerade angesprochen hatte −, dass Gusseisen nun einmal spröde war. Für eine Kultur, die immer noch den Einsatz von Dampfkraft verbot, waren die Techniken, derer man sich in den Gießereien von Safehold bediente, schon bemerkenswert fortschrittlich, doch bis zur Massenproduktion von Stahl war es noch ein weiter Weg. Die grundlegende Technologie war schon fast zum Greifen nahe, aber es galt noch andere Schwierigkeiten zu überwinden.
Dass in den Gießereien von Safehold bereits seit Jahrhunderten Wasserräder zum Einsatz kamen, half natürlich weiter, doch erst in den letzten Jahrzehnten hatten Männer wie Edwyrd Howsmyn und seine ›Mechaniker‹ herausgefunden, dass man diese Kraft auch zu anderen Schritten der Produktion heranziehen konnte. Ursprünglich hatten die Wasserräder ausschließlich die Funktion erfüllt, die Gebläse anzutreiben, mit denen sich die Temperatur in den Hochöfen von Safehold steigern ließ. Die Umwandlung des Roheisens aus den Hochöfen in Schmiedeeisen und Stahl war noch nicht weiter entwickelt als etwa im Europa des achtzehnten Jahrhunderts.
Howsmyn gehörte zu den Pionieren − die allesamt hier aus Charis stammten −, die sich dafür eingesetzt hatten, anstelle von Holzkohle als Brennmaterial Koks einzusetzen, der sich leicht aus den im Königreich reichlich vorhandenen Kohlevorkommen gewinnen ließ. Er hatte auch die Führung bei der Entwicklung einer Vorgehensweise übernommen, die auf Terra als ›Puddelverfahren‹ bezeichnet worden war, und das führte dazu, dass die Schmiedeeisenproduktion in seinen Gießereien um ein Mehrfaches größer ausfiel als in allen anderen Gießereien auf ganz Safehold − und die Qualität dieses Schmiedeeisens war auch noch bemerkenswert hoch. Doch trotzdem war Schmiedeeisen immer noch deutlich teurer als Gusseisen, vor allem, weil dafür sehr viel mehr Arbeit geleistet werden musste, schließlich waren mehrere Fertigungsschritte erforderlich, und die Herstellung von Schmiedeeisen dauerte auch einfach länger.
Natürlich boten die aktuellen, immer noch recht primitiven Techniken, die in Charis angewendet wurden, reichlich Spielraum für Verbesserungen, doch sämtliche der Neuerungen, die Howsmyn bislang eingeführt hatte, bedurften nicht eigens der Zustimmung der Kirche, da es ausschließlich Weiterentwicklungen bereits zugelassener Techniken waren. Andererseits waren fast alle diese Neuerungen lediglich die Folge praktischer Erfahrungen. Sie waren von Männern entwickelt worden, die ein ganzes Leben lang Erfahrung mit dem Schmieden von Eisen und Stahl gesammelt hatten, die aber allesamt keinerlei Verständnis dafür entwickelt hatten, warum diese Verbesserungen nun eigentlich funktionierten. Jeglicher systematische Versuch, Howsmyns derzeitige Kapazitäten noch zu verbessern, würde jedoch genau dieses theoretische Grundlagenwissen erfordern, und das würde angesichts der Ächtungen der Jwo-jeng zu einem echten Problem werden.
Der springende Punkt an Seamounts derzeitigem Problem jedoch war, dass die einzigen Materialien, die für Artilleriegeschütze überhaupt infrage kamen, nun einmal Bronze, Gusseisen und Schmiedeeisen waren. Bronze war ausgezeichnet für Vorderlader mit glatten Rohren geeignet, aber sie war
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