Die Flotte von Charis - 4
Sharleyan gewacht hatte, wusste Merlin, dass sie ihre Leibgarde ausdrücklich angewiesen hatte, an Bord der Todeswal zu bleiben, sodass sie ganz alleine ihrem neuen Gemahl begegnen und ihr neues Volk begrüßen konnte.
Das hatte niemandem gefallen, und tatsächlich hatte Captain Willys Gairaht, der Kommandant der Leibgarde, gegen diese Entscheidung protestiert, bis Königin Sharleyan ihn − in für sie äußerst untypisch ruppiger Art und Weise − angewiesen hatte, den Mund zu halten. Und Sergeant Edwyrd Seahamper, der ihr schon seit ihrer Kindheit als persönliche Leibwache diente, hatte sie das Gleiche gesagt, wenngleich mit etwas weniger Nachdruck. Wenn, so hatte sie beißend ihren beiden Gardisten erklärt, etwaige Untertanen ihres zukünftigen Gemahls tatsächlich hasserfüllt genug wären, ein Attentat auf eine Königin zu verüben, und das in Anwesenheit der Garden, die Cayleb zweifellos vor Ort haben würde, dann würde langfristig niemand sie beschützen können.
Captain Gairaht und Sergeant Seahamper hatten sich zweifellos nicht allzu große Sorgen um die Zeitspanne gemacht, die Sharleyan mit ›langfristig‹ umschrieben hatte. Ihre ganze Sorge galt dem Überleben ihrer Königin im hier und jetzt, und Merlin konnte es ihnen mühelos nachfühlen. Trotzdem wusste Merlin, als der Jubel der Charisianer sich noch einmal verdoppelte, dass Sharleyans Instinkt sie nicht im Stich gelassen hatte. Als die schlanke Gestalt nun den Laufsteg hinabschritt, um das Volk ihres zukünftigen Gemahls zum ersten Mal zu begrüßen, entging der Symbolismus dieser Geste jenem Volke keineswegs.
Die Herzen des Volkes von Charis hat sie schon jetzt erobert, dachte Merlin bewundernd. Und vielleicht ist das Beste daran, dass sie diese Entscheidung zuerst getroffen hat und erst später begriffen, warum sie so wichtig war.
Und auch Cayleb entging Sharleyans Geste nicht.
»Hiergeblieben − alle!«, erklärte Cayleb mit leicht erhobener Stimme, um den tosenden Jubel, die Pfiffe und die Rufe des Volkes zumindest für die unmittelbar in der Nähe stehenden Untergebenen zu übertönen.
Zahlreiche Mitglieder des offiziellen Begrüßungskomitees blickten sich um, als ihnen der Befehl ihres Königs zugetragen wurde. Die Miene des einen oder anderen wirkte beinahe schon verstimmt, doch die meisten kniffen einfach nur erstaunt die Augen zusammen, als der König mit einem einzigen Befehl auf die ganze, sorgfältig einstudierte Begrüßungszeremonie verzichtete, die man zu Königin Sharleyans Ehren geplant hatte.
Gewöhnt euch daran, Leute, dachte Merlin mit geradezu sardonischer Freude, als Cayleb ganz alleine der Königin von Chisholm entgegentrat. Jeder von den beiden hat alleine schon genug Last mit dem höfischen Protokoll. Wartet erst einmal ab, was passiert, wenn die beiden gemeinsam auftreten sollen! Mein Gott, der sieht ja noch besser aus als auf dem Gemälde!
Irgendwo in Sharleyans Hinterkopf flammte dieser Gedanke auf, als Cayleb an das Fußende des Prunklaufstegs herantrat, sie anlächelte und ihr dann eine große, muskulöse Hand entgegenstreckte, an deren Fingern mehrere Juwelen blitzten. Hochaufgerichtet stand er dort, seine hüftlange Leinenjacke und die weit geschnittene Hose aus Baumwollseide betonten seine breiten Schultern noch. Im Licht der Morgensonne glitzerten die goldenen und silbernen Stickereien auf der Jacke. Winzige Edelsteine blinkten zwischen den wellenartigen Mustern, wie sie in Charis Tradition waren, und Caylebs Gürtel aus aufwendig verzierten, gehämmerten Silberplatten, natürlich in der Form von Muscheln, schimmerte fast so hell wie ein Spiegel.
Doch das, was Sharleyan vor allem sah, waren seine Augen. Aus diesen braunen Augen, die stets zu lächeln schienen, schaute er sie an, doch es war nicht der Blick eines pflichtschuldigen Monarchen, der zum Wohle seiner Untertanen den Bund der Ehe einging, sondern eines jungen Mannes, der voller Freude der Ankunft der ersehnten Braut harrte. Merlin hat ja wohl keine Augen im Kopf. Die ist ja wunderschön!
Cayleb wusste, dass er die Königin von Chisholm anstarrte wie ein flegelhafter Hinterwäldler, doch er war wie hypnotisiert. Trotz allem, was Merlin ihm schon gesagt hatte, musste sich Cayleb eingestehen, dass er diesem Augenblick in vielerlei Hinsicht voller Schrecken entgegengeblickt hatte. Zum Teil, so vermutete Cayleb allmählich, lag es daran, dass ein Teil seines Verstandes einfach nicht gegen den dummen Pessimismus ankam, alles, was derart wichtig,
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