Die Flotte von Charis - 4
Mündungsfeuer wie von einem einschlagenden Blitz schien die Nacht selbst zu zerfetzen. Das Mündungsfeuer sollte Allayn Dekyn niemals mehr wahrnehmen. Dafür blieb ihm keine Zeit mehr, als die Musketenkugeln, wie Schrot aus einer überdimensionalen Flinte, geradewegs über den Laufsteg fegten und ihn, den Soldaten, der unachtsam seine Armbrust abgefeuert hatte, und drei weitere Angehörige seines Zuges sofort in Stücke riss.
Der Inquisitor, der sich unaufgefordert dem Zug des Sergeants angeschlossen hatte, schrie vor Entsetzen auf, als Dekyns Blut ihn traf wie eine heiße, salzige Welle. Einen Moment lang vermochte er sich nicht zu bewegen, vermochte kaum noch zu atmen. Doch dann vereinte sich die verderbliche Macht seiner eigenen Panik mit seinem Hass auf die ›Ketzer‹ von Charis, und so wirbelte er zu den zwanzig Überlebenden dieses Zuges herum.
»Worauf wartet ihr noch?!«, kreischte er mit scharfer Summe, die all ihre Kraft aus dem Zorn des Entsetzens bezog. »Tötet die Ketzer! Heiliger Langhorne, und keine Gnade!« »Verdammt!«, stieß Tomhys Kairmyn aus, als das Mündungsfeuer der ›Wolf‹ an Bord der Wave das ganze Ufer erhellte wie das Rakurai Langhornes persönlich. »Was zur Hölle …?«
Abrupt verbiss er sich den Rest des Satzes; ihm war bewusst geworden, dass der Oberpriester immer noch neben ihm stand, doch zugleich rasten ihm immer weiter Fragen durch das Hirn. So viel zu Sir Vyks Anweisung, das hier leise und unauffällig zu erledigen!
»Das müssen die Ketzer sein«, krächzte Pater Styvyn. Kairmyn blickte ihn an, und der Intendant zuckte zornig mit den Schultern. »Das war keine Armbrust, Captain! Ich mag ja kein Soldat sein, aber das weiß ja sogar ich! Und das bedeutet, das ging von diesen verwünschten Ketzern aus. Natürlich besteht ihre Reaktion sofort darin, auf feige Art und Weise jene Männer zu töten, die hier Gottes Werk tun! Was soll man denn von Shan-weis mörderischer Brut auch sonst erwarten?«
Kairmyn konnte nichts gegen die Analyse des Schueleriten einwenden. Wer diesen Schuss abgegeben hatte, stand völlig außer Frage − auch wenn er mit den letzten Sätzen des Gottesmannes nicht ganz einverstanden war. Bedauerlicherweise änderte das auch nicht das Geringste an dem, was nun dort draußen in der Dunkelheit unweigerlich geschehen würde. Überall auf dem Anlegesteg sahen und hörten die Soldaten und Seeleute von Delferahk, die sich bislang lautlos den ihnen zugewiesenen Schiffe genähert hatten, den Schuss aus der ›Wolf‹. Gleiches galt auch für die Hafenwachen an Bord der charisianischen Schiffe, die sie eigentlich hatten beschlagnahmen sollen, und so hörten die Delferahkaner an Bord sämtlicher dieser Schiffe Rufe, das Klirren der Schiffsglocken, mit denen nun Alarm geschlagen wurde, und das Tappen nackter Füße auf Schiffsplanken, als die restliche Besatzung auf die Rufe ihrer Wachhabenden reagierten.
Kurz zögerten die Enterkommandos. Doch nur kurz. Dann trieben die Befehle ihrer eigenen Sergeants und die leidenschaftlichen Rufe der Inquisitoren, die sich unaufgefordert den Kommandos angeschlossen hatten, sie weiter voran, und so stürmten sie die Laufplanken hinauf, um an Bord zu gelangen, bevor der Widerstand an Bord sich auch noch organisieren ließe.
Erstaunte Matrosen der Handelsflotte, die immer noch zur Reling ihrer Schiffe hinüberstürzten, um herauszufinden, was hier überhaupt vor sich ging, sahen plötzlich unmittelbar vor sich bewaffnete Soldaten, die bereits die Laufplanken ihrer Schiffe stürmten. Einige jener Matrosen ergriffen tatsächlich auch die Flucht, doch charisianische Seeleute waren nicht gerade für ihre Ängstlichkeit bekannt. Stürme, Schiffbruch und Piraten neigten dazu, die Schwächlinge unbarmherzig auszumerzen, und genau wie für Lyzbet Walkyr stellten auch für sie Trotz und heftige Gegenwehr die natürliche Reaktion auf jegliche Bedrohung für ihr Schiff dar.
Hastig packten sich die Männer Belegklampen und Marlspieker. Auf anderen Schiffen, deren Captains ähnlich wie Edmynd Walkyr bereits gespürt hatten, welche Spannung sich hier aufbaute, griff die Mannschaft zu den Säbeln, die man unauffällig bereits zurechtgelegt hatte, und hier und dort am Pier blitzten und donnerten weitere ›Wölfe‹. »In Langhornes Name!«, rief Kevyn Edwyrds.
Seite an Seite fanden er und Hairys Fyshyr sich vor der Heckreling der Kraken wieder und starrten zu den Docks hinüber. Die Kraken hatte keinen Anlegeplatz unmittelbar am Pier
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