Die Flucht der Gauklerin: Historischer Roman (German Edition)
vollkommen schleierhaft war.
Es dauerte eine Weile, ein Schrauben und Lösen von Knoten war auf der anderen Seite im Gange. Dann öffnete sich unerwartet geschmeidig die mannshohe, breite Luke und gab den Blick auf ein unerwartetes, erstaunliches Bild frei.
Sie sahen eine Ebene. Oder vielmehr den flachen Grund einer tiefen Schlucht, in der jedoch durch fleißige Hände eine Ebene entstanden war, auf welcher drei schlichte, neue Holzhütten entstanden, von denen bereits eine fertig war. Hühner liefen herum. Im Hintergrund klaffte in der Felswand ein großes Loch, in welchem ein mit Gesteinsbrocken gefüllter Handkarren stand.
Doch für diese Wunderwelt hatte Konrad keine Augen. Er starrte vielmehr auf die Frau, die ihnen das Tor geöffnet hatte und ihn aus ihren hübschen Augen anstrahlte.
» Ihr habt es tatsächlich hierhergeschafft. Ich hätte es nicht für möglich gehalten « , stammelte er.
» Und Ihr lebt tatsächlich. Die alte Maja hat immer wieder behauptet, dass das Große Sterben Euch nichts anhaben kann, und wir hätten ihr so gern Glauben geschenkt. Jetzt weiß ich, sie hatte tatsächlich recht. So finden wir alle wieder zusammen. Es ist Gottes Wille und seine Fügung. Ihr kommt im rechten Moment « , sprudelte es aus ihr heraus, und gleich nahm sie ihn bei der Hand.
Wie im Schlaf folgte Konrad ihr. Doch sie kamen nur einige Schritte weit, da öffnete sich die Tür einer der Hütten, und ein Mann mit einem Bündel schritt heraus. Gefolgt von einem kleinen, hutzeligen Weiblein, das immer wieder aufgeregt rief:
» Frische Luft. Es benötigt frische Luft, dann wird es schon schreien. «
Verzweifelt streichelte der Mann immerzu mit groben Händen über das in ein Tuch gewickelte Ding. Er– und auch die Alte– waren so sehr damit beschäftigt, dass sie ihre Besucher gar nicht bemerkten.
» Ulrich. Maja « , sagte Konrad. Es erschien ihm alles wie ein Traum. Doch er konnte sich noch nicht entscheiden, ob es ein schöner oder aber ein Albtraum war, denn etwas Entscheidendes fehlte noch.
Ulrich blieb stehen und erstarrte, als er Konrad sah. Maja hingegen ging auf die Knie und richtete beide Hände dankend gen Himmel. So verweilten sie allesamt eine ganze Weile.
» Nun geh schon. Gib es ihm « , forderte Maja schließlich den bewegungslosen Ulrich auf. Sie war die Erste, die wieder zu sich gefunden hatte und sich darauf besann, dass nicht Zeit zum Staunen, sondern höchste Zeit zum Handeln war.
Hektisch stolperte Ulrich nun auf Konrad zu. Ein Gemisch aus Sorge, Widerwillen, aber auch Hoffnung war in seinem faltigen Gesicht zu erkennen.
» Es ist Eures « , stotterte er heiser und reichte dem über und über verwunderten Konrad das Bündel. » Es mag nicht schreien, und das bereitet uns Kummer. «
Erschrocken richtete Konrad seinen Blick auf das Ding, was er da unbeholfen in Händen hielt. Leicht war es, blut- und schleimverschmiert, bewegungslos. Nie zuvor hatte er so etwas im Arm gehalten. Hilfesuchend sah er sich nach Crispin und Adelheid um, doch auch die beiden rührten sich nicht.
» Meines? « , fragte er verwirrt.
» Deine Tochter « , antwortete Maja und nickte ihm auffordernd und ungeduldig zu.
Doch Konrad wusste nicht, was er tun sollte.
Unwillkürlich nahm er seinen kleinen Finger und strich über das zarte Gesichtchen des Säuglings. Es fühlte sich warm und weich an. Ein seltsames Gefühl durchströmte Konrad. Was war das? So etwas hatte er noch nie zuvor in seinem Leben gespürt. Fast schämte er sich ein wenig und hoffte, dass die anderen nicht bemerkten, wie unglaublich glücklich und gleichzeitig schwach er sich in diesem Moment fühlte. Was machte dieses kleine Ding nur mit ihm? Er kannte es doch gar nicht! Als er mit seiner Fingerspitze schließlich in die Nähe des winzigen Mündchens kam, öffnete sich dieses blitzschnell, umschloss seinen Finger und begann gierig zu saugen.
Erschrocken suchte Konrad wieder Rat bei den anderen, doch die zuckten nur lächelnd mit den Achseln. Und dann ging es los.
Der Finger schien nicht besonders gut zu schmecken, denn mit einem Male war die Dachsschlucht erfüllt von einem Schreien, das selbst die Klagelaute der vermeintlichen Winselmutter in den Schatten stellte.
» Quietschfidel « , jubelte Maja und klopfte dem ebenso erleichterten Ulrich auf die Schultern, während Konrad auf ungeschickte und erfolglose Weise versuchte, den Säugling zu beruhigen. Erleichtert war er, als Adelheid ihm das Kind abnahm und er wieder Luft schnappen
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