Die Fluchweberin
falsch war, andere so zu behandeln, wie sie es tat. Zu keiner Zeit durfte ihr bewusst sein, dass ihre Veränderung gegen ihren Willen geschah.
Ich konzentrierte mich auf die Wirkung des Fluchs undverknüpfte ihr Haar sorgfältig mit der Kette. Mit jedem weiteren Knoten wob ich einen weiteren Aspekt des Fluchs ein. Freundlichkeit. Gesinnungsänderung. Selbsterkenntnis. Akzeptanz des neuen Verhaltens. Ein schlechtes Gewissen angesichts ihres bisherigen Benehmens. Knoten für Knoten erweiterte ich die Auswirkung des Fluchs in Gedanken.
Dann schloss ich die Augen.
Während ich meine Hand fest um das Medaillon und das Haar schloss, spürte ich Kims Aura nach, deren Echo diesen Dingen noch immer anhaftete. Wärme erfüllte meine Fingerspitzen und stieg kribbelnd über meine Hand, in meinen Arm und immer weiter nach oben. Als die Hitze mein Herz erreichte, sah ich Kims Aura vor mir, die sich von dem Medaillon und ihrem Haar auf mein inneres Auge übertrug. Ein Strahlenkranz, der Kims Körper wie lodernde Flammen umschloss und in allen Farben des Spektrums leuchtete. Es hätte mich nicht überraschen dürfen, dass die vorherrschende Farbe in Kims Aura ein trübes Rot war. Eine Farbe, die für eine Neigung zu Spott und Hohn stand. Von Streitsucht und Bosheit ganz zu schweigen. Wie passend.
Die Augen noch immer geschlossen zwang ich mich, die Aura mit meinem Geist festzuhalten. »Kim Randall, du wirst erkennen, dass dein Verhalten anderen gegenüber falsch war.« Vor meinem inneren Auge sah ich, wie meine Worte in Form silberner Fäden auf die Aura stießen und sich mit ihr verbanden. Wie die Fäden eines Teppichs verknüpfte ich meinen Fluch untrennbar mit Kim. »Du wirst bereuen und dich deinen Mitmenschen gegenüber künftig anständig verhalten. Alle Menschen sind gleichwertig und du wirst sie ab sofort alle gut behandeln. Keine Bosheiten, keine Streiche, keine spitzen Bemerkungen oder bösen Blicke mehr. Nur Reue und Freundlichkeit.«
Ich hatte keine Ahnung, ob die Wahl meiner Wortereichte oder ob ich sie in Reimform, oder zumindest feierlicher, hätte ausdrücken sollen. Da ich mich aber nicht daran erinnern konnte, etwas darüber gelesen zu haben, nahm ich an, dass es auch so funktionieren würde.
Insgesamt wiederholte ich meine Worte dreimal, zumindest sinngemäß, denn ich hatte es versäumt, mir den genauen Wortlaut vorher zu notieren, und beobachtete, wie sich mein Fluch verfestigte und sich immer weiter mit Kims Aura verband.
Nach dem dritten Mal öffnete ich die Augen und griff nach dem Feuerzeug. Ich hielt die Flamme an ein Ende des Haars. Es schmolz rasend schnell, zog sich knisternd zusammen und ging schließlich in einer kleinen Stichflamme auf, die nicht mehr übrig ließ als einen verschmorten Geruch.
Noch einmal schloss ich meine Hände um das Medaillon und sprach die abschließenden Worte, die tatsächlich festgeschrieben standen. »Mit diesen Worten ist der Fluch verwoben und nicht von selbst mehr aufgehoben.«
Ein Blitz schoss aus dem Medaillon in meine Finger und warf mich zurück. Wobei es wohl weniger die kaum spürbare Druckwelle als viel mehr der Schreck gewesen war, der mich aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
Mit rasendem Puls setzte ich mich auf und starrte auf das Medaillon in meinen Händen. Im Zimmer roch es nach verfaulten Eiern. Schwefel! Heilige Scheiße, davon hatte nirgendwo etwas gestanden. Auch nicht von einem Blitz.
Ob ich etwas falsch gemacht hatte?
Ich stand auf, kein ganz einfaches Unterfangen, nachdem mir die Beine eingeschlafen waren, ging zum Fenster und schob es auf. Die kalte Nachtluft vertrieb die Hitze des Rituals und linderte den Schrecken, den mir der Blitz eingejagt hatte. Ich beugte mich vor und atmete tief durch, als ich im Garten einen Schatten sah. Ein dunkler Schemen standhalb hinter einem Baum verborgen und blickte zu meinem Fenster hinauf. Ich lehnte mich noch ein Stück weiter nach draußen in der Hoffnung, mehr zu erkennen, doch die Gestalt war verschwunden. Oder vollends mit den Schatten verschmolzen. Eine Weile wartete ich noch, ob nicht doch noch eine Bewegung zu sehen wäre, doch nichts geschah. Selbst als ich mich vom Fenster zurückzog und mich seitlich wieder anschlich, um nach draußen zu spähen, war da nichts mehr.
Vielleicht hatte ich mich geirrt.
Andererseits hatte ich mich heute Morgen nicht geirrt, als wer auch immer sein kleines Ritual dort unten abgehalten hatte. Nur dass das ein ganzes Stück von meinem Fenster entfernt gewesen
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