Die Fluchweberin
melden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Dann habe ich überhaupt keine Ruhe mehr.« Kim würde immer einen Weg finden, mir trotz allem zu schaden. Ich brauchte eine dauerhafte Lösung.
»Bist du sicher?«
»Ja.«
Sein Blick suchte meinen und hielt ihn fest. Es war, als würde er darin nach etwas suchen. Schließlich nickte er. »Ich werde Kim für den Rest des Abends im Auge behalten und du schließt besser deine Tür ab.«
9
In meinem Zimmer legte ich das Haar, das ich von Kims Ärmel gezupft hatte, auf meinen Schreibtisch und schob ein Buch darüber, damit es nicht weggeweht wurde.
Ich stellte meine Tasche auf den Stuhl und wollte das Medaillon herausholen, doch ich brachte es nicht einmal fertig, die Tasche zu öffnen. Als ich mich zwang, die Hand danach auszustrecken, zitterten meine Finger.
Was ich vorhatte, war starker Tobak.
Heftiger als jeder Fluch, den ich bisher gewirkt hatte.
Konnte ich das wirklich tun?
Unentschlossen stand ich da, meine Hand immer noch nach meiner Tasche ausgestreckt, und starrte auf die Spitze des blonden Haars, das unter dem Buch hervorlugte. Langsam ließ ich meine Hand sinken. War ich nicht genau die Art von Zauberer, vor der sich die Menschen fürchteten? Vor der sie sich zu Recht fürchteten?
Und wie wollte ich es überhaupt anstellen?
Ich ging zum Fenster und sah nach draußen. Das Internatsgelände lag unter einem Schleier dämmrigen Zwielichts, das bald von der Nacht verdrängt werden würde. Obwohl ich vorgehabt hatte, sofort zu beginnen, war es vielleicht besser, zu warten, bis im Haus Ruhe einkehrte. Einen Fluch wie diesen hatte ich noch nie gewoben, weshalb ich auch nicht abschätzen konnte, was passieren würde, wenn ich in meiner Konzentration gestört wurde. Selbst wenn ich meine Tür abschloss, war das keine Garantie. Es brauchte nur jemand anzuklopfen oder draußen auf dem Gang Radau zu veranstalten, während ich mittendrin war, und schon hätte ich den Salat.
Abgesehen davon konnte ich sowieso nicht loslegen, solange ich noch keine genaue Vorstellung davon hatte, was ich mit meinem Fluch bezwecken wollte. Sicher, ich hatte eine Idee, was er bewirken sollte. Allerdings sollte ich ein wenig mehr als das haben, bevor ich begann.
Ich würde es wirklich tun. Ich würde es durchziehen. Als mir das bewusst wurde, begann mein Herz schneller zu schlagen. Es war ein Risiko, andererseits war es gefährlicher, nichts zu unternehmen und zu riskieren, dass Kim mich derart provozierte oder in die Enge trieb, dass ich mich nicht länger unter Kontrolle hatte. Ihr in aller Öffentlichkeit den Ausschlag anzuhängen, war schlimm genug gewesen. Was, wenn es das nächste Mal etwas Schlimmeres war? Etwas, das sich zu mir zurückverfolgen ließ?
Es ging mir nicht um Rache (auch wenn die Vorstellung durchaus verlockend war), sondern darum, mich selbst zu schützen. Wenn Kim dabei ein wenig Demut lernte, wäre das ein netter Nebeneffekt.
Ich schnappte mir einen Block und einen Stift und fing an, meine Gedanken und Vorstellungen aufzuschreiben. Es dauerte nicht lange, bis sich aus bloßem Wunschdenken erste konkrete Ziele herauskristallisierten und ich den Weg fand, den ich weiterverfolgte. Sobald mir klar war, wie mein Fluch aussehen würde, legte ich den Block zur Seite und setzte mich an meine Hausaufgaben. Wenn ich sowieso warten musste, konnte ich die Zeit bis dahin zumindest sinnvoll nutzen.
Als es im Haus endlich ruhig wurde, war ich längst mit meinen Schularbeiten fertig, hatte geduscht und die Zähne geputzt und saß mit einer Zeitschrift im Schoß auf dem Bett. Die Zimmertür war abgeschlossen und mein Handy ausgeschaltet. Für gewöhnlich rief nie jemand an, da aber Momente, die keinesfalls gestört werden durften, für automatische Werbeanrufe oder jemanden, der sich verwählt hatte, geradezu prädestiniert waren, wollte ich lieber kein Risiko eingehen.
Obwohl ich immer ungeduldiger wurde, wartete ich, bis auch das letzte Türenschlagen verstummt und die Stimmen, die aus den Nebenzimmern an mein Ohr drangen, verklungen waren. Es war kurz vor Mitternacht, als endlich Ruhe eingekehrt war.
Ich warf die Zeitschrift auf den Nachttisch. Dabei fiel mein Blick auf das Foto meiner Familie. »Glaub mir, Mom«, flüsterte ich, »es ist der einzige Weg.« Dad würde es verstehen. Er hatte auch immer gewollt, dass Mom sich schützte, während sie … Es war ihr immer wichtiger gewesen, zu helfen. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ihr ihre Hilfsbereitschaft wichtiger
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