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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Herzschlag lang zögerte ich noch, bevor ich die Tür öffnete. Max sah sich schnell nach allen Seiten um, dann schlüpfte er an mir vorbei ins Zimmer und schob die Tür wieder zu. Eine Weile stand er einfach nur da und musterte mich, wobei sein Blick an meinem Gesicht hängen blieb, wo Kims Faust mich getroffen hatte. Dank der Tabletten war der Schmerz zu einem dumpfen Pochen abgeklungen, was aber nichts daran änderte, dass ich spürte, wie meine Haut unter der Schwellung spannte.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte er.
    Ich nickte nur. Das Sprechen fiel mir immer noch schwer und irgendwie wollte ich auch nicht wirklich reden. Ganz bestimmt hatte ich nicht vor, ihm zu erzählen, was passiert war. Vermutlich hatte Skyler das ohnehin schon erledigt. Oder Kim. Ich erstarrte. Was, wenn sie ihn geschickt hatte, um ihr Werk zu vollenden? Es klang unsinnig und weit hergeholt, andererseits klang es auch unsinnig, dass Kim von einer Fremden besessen sein sollte. Vielleicht war es dieser Fremden ja gelungen, auch von Max Besitz zu ergreifen. Vorsichtig wich ich einen Schritt in Richtung Tür zurück.
    Max hob eine Augenbraue, rührte sich aber nicht vom Fleck. »Skyler hat mir erzählt, was passiert ist.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich bin ich hergekommen, um mich für Kims Verhalten zu entschuldigen, aber jetzt wird mir klar, dass es dafür keine Entschuldigung gibt. Dieses Mal ist sie zu weit gegangen.«
    Dass Max in meinem Zimmer war, fühlte sich vollkommen anders an als Skylers Anwesenheit zuvor. Irgendwie falsch – auch wenn er nicht besessen war. Allerdings gab es etwas, das ich vergessen hatte, Skyler zu fragen. »Wie habt ihr mich überhaupt gefunden?«
    »Wir saßen in der Bibliothek über unseren Hausaufgaben, als Kim hereinkam. Sie hat sich überall umgesehen undist wieder rausgestürmt. In dem Augenblick, in dem sie ging, stand Skyler auf und ist ebenfalls gegangen. Das hat mich … misstrauisch gemacht.«
    Du meine Güte, hatte er etwa geglaubt, Skyler würde ihr folgen, um sie anzugraben? Daran, dass Kim – oder wohl eher ihre Untermieterin – nach mir gesucht hatte, zweifelte ich hingegen nicht.
    »Ich bin Skyler gefolgt«, fuhr Max fort. »Einen Moment dachte ich wirklich, dass er was von Kim will. Ich fand ihn vor dem Haus. Von Kim keine Spur. Skyler hatte Angst, dass sie etwas im Schilde führte. Du meine Güte, Raine, ich hatte keine Ahnung, was sie dir schon alles angetan hat. Skyler hat mir von ihrer Aktion mit der Putzkammer erzählt.«
    Manchmal war Skyler wirklich ein bisschen zu mitteilsam für meinen Geschmack.
    »Er wusste, dass du rauswolltest, deshalb machten wir uns auf die Suche nach dir. Es hat allerdings ein paar Minuten gedauert, bis wir dich gefunden haben.«
    Ich für meinen Teil war froh, dass sie mich überhaupt gefunden hatten. Und das gerade noch rechtzeitig. Obwohl ich versucht hatte, Skyler davon zu überzeugen, dass ich Kim aus dem Weg gehen und damit alles in Ordnung sein würde, war ich ihm für sein Misstrauen und seine Wachsamkeit dankbar. Ohne ihn wäre die Sache heute anders ausgegangen.
    Max griff nach meiner Hand und drückte sie. »Es tut mir wirklich leid«, sagte er und sah mir dabei lange in die Augen. Schließlich gab er meine Hand wieder frei und ging. Ich schloss hinter ihm ab und vergewisserte mich drei Mal, dass die Tür wirklich fest verschlossen war.

 17 
    Dieses Mal dauerte es länger, bis ich wieder einschlafen konnte. Als mich der Schlaf dann endlich einholte, träumte ich von meinen Eltern und von jenem Tag vor zwölf Jahren. Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, ohne die Bilder abschütteln zu können, die mich so beharrlich verfolgten. Einem Teil von mir war durchaus bewusst, dass es sich dabei um einen Traum handelte, und womöglich hätte allein dieses Wissen ausgereicht, um jede andere Art von Albtraum erträglich werden zu lassen. Diesen Bildern jedoch, die nicht dem Traum, sondern meiner Erinnerung geschuldet waren, konnte nichts ihren Schrecken nehmen.
    Verfolgt von den Stimmen und Rufen, den stampfenden Schritten und dem nicht enden wollenden Widerhall des Schusses, trieb ich dahin. Bis ich eine Berührung an meinem Arm spürte. Sanft, beinahe zärtlich.
    Die albtraumhaften Bilder zersplitterten und fielen wie Scherben zu Boden, als mich die Hand auf meinem Arm langsam ins Hier und Jetzt zurückgeleitete. Träge öffnete ich die Augen und sah eine schemenhafte Gestalt, die sich im Dunkel meines Zimmers über mich beugte.

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