Die Fluchweberin
Ich hätte vor Schreck aus dem Bett springen und um Hilfe schreien müssen, doch ich war weder erschrocken noch fühlte ich mich bedroht. Eher dämmrig, als wäre ein Teil von mir noch nicht vollends aus Morpheus Armen zurückgekehrt.
»Skyler?«, flüsterte ich und wusste schon einen Herzschlag später nicht mehr, ob ich seinen Namen wirklich ausgesprochen hatte.
Die Gestalt, die neben mir auf der Bettkante saß und deren Präsenz ich mit einem Mal so überdeutlich spürte, alssei sie mir geradewegs unter die Haut gekrochen, schüttelte langsam den Kopf.
Nicht Skyler.
Jetzt verspürte ich doch einen Anflug von Unruhe. Ich sollte aufstehen und …
»Das ist nur ein Traum, Liebes.«
Die Worte beruhigten mich wieder. Träume konnten einen verfolgen und quälen, aber sie konnten einem nichts anhaben. Ich war in Sicherheit und schon bald würde der Anblick des Mannes über mir verschwimmen und den gewohnten Bildern meiner Eltern weichen.
Statt sich jedoch in Luft aufzulösen, begann der Fremde Gesten zu vollführen. Seine Hände schwebten durch die Luft, als folgten sie einer komplizierten Choreografie. Leise Worte begleiteten jede Bewegung. Plötzlich begannen seine Fingerspitzen zu leuchten und hinterließen ein Echo aus Licht dort, wo er seine Zeichen in die Luft malte.
Jetzt bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich wollte aufspringen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Wollte um Hilfe schreien, aber auch meine Stimmbänder gehorchten mir nicht.
Eine glimmende Fingerspitze näherte sich meinem Gesicht, sie fühlte sich warm auf meiner Haut an, als sie langsam über meine Wange strich. »Ganz ruhig.« Er sagte noch mehr. Worte, deren Bedeutung mein Verstand nicht zu erfassen vermochte. Ich spürte nur noch die Ruhe, die sich wie eine warme Decke über mich legte und mein Herz beruhigte.
Meine Angst war fort.
Ich wusste nicht einmal mehr, wovor ich mich überhaupt gefürchtet hatte. Der Mann tat mir nichts und er würde mir nichts tun. Er liebte mich, das spürte ich so deutlich, als würde er mir die Worte immer und immer wieder ins Ohrflüstern. Jede Geste, jeder Blick – ein Ausdruck seiner Liebe. Was er tat, tat er nur für mich. Auch wenn ein Teil von mir sich tatsächlich fragte, was er da tat. Er murmelte noch immer Worte vor sich hin, doch sosehr ich mich auch bemühte, ich vergaß jedes einzelne, noch bevor es verklungen war.
Ein Ritual , schoss es mir durch den Kopf, doch der Gedanke war fort, ehe ich ihn richtig zu fassen bekam. Alles, was mir blieb, war, still zu liegen und mich mit meinen Blicken an den schemenhaften Umrissen meines Besuchers festzuklammern, dessen Anblick mir ebenso schnell zu entgleiten drohte wie seine Worte.
Schließlich endete es. Der Klang seiner Stimme wurde von einer langen, undurchdringlichen Stille abgelöst, die sich wie Nebel über den Raum zu legen schien und mein Bewusstsein mehr und mehr zurückdrängte. Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass er mir eine Kette um den Hals legte, sich über mich beugte und mich auf die Stirn küsste. »Bald sind wir wieder vereint.«
Dann fielen mir die Augen zu und schon bald war ich wieder in den gewohnten Albträumen gefangen, die mich schon so lange begleiteten.
18
Am nächsten Morgen fühlte ich mich vollkommen zerschlagen. Meine Wange war zwar nicht mehr geschwollen, das änderte jedoch nichts daran, dass sie bei jeder Berührung, selbst beim Sprechen, ein ständiges Pochen aussandte. Da halfen auch die zwei Schmerztabletten nur wenig, die ich mir gleich nach dem Aufwachen einwarf.
Verschwommen erinnerte ich mich an die wirren Träume der letzten Nacht. Als die Bilder der schemenhaften Gestalt in meinem Geist aufblitzten, erstarrte ich. Das war kein Traum gewesen. Zumindest nicht alles. Der Mann musste echt gewesen sein, dessen war ich mir mit einem Mal vollkommen sicher. Er hatte … Es dauerte einen Moment, ehe ich mich daran erinnern konnte, was er getan hatte … Ein Ritual. Worte. Die Kette! Der Typ hatte mir eine Kette umgelegt. Plötzlich glaubte ich, das Gewicht des Schmuckstücks um meinen Hals zu spüren. Ich tastete danach, aber da war nichts. Ungläubig zog ich meinen Pyjama zur Seite und fuhr mit der Hand meinen Hals entlang. Nichts. Keine Kette und auch kein Anzeichen, dass vor Kurzem noch eine dort gewesen sein sollte.
»Also doch nur ein Traum«, flüsterte ich in die Stille meines Zimmers.
Es hätte mich beruhigen sollen, doch das Gefühl, die Last der Kette zu spüren, wollte mich einfach
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