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Die Fluchweberin

Die Fluchweberin

Titel: Die Fluchweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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in Ordnung?« Hatte er Max vorhin noch ungehalten angeblafft, glich seine Stimme jetzt nur noch einem rauen Flüstern. »Soll ich einen Arzt rufen?«
    Ich schüttelte den Kopf, nicht wissend, welche seiner Fragen ich damit beantworten wollte. Vielleicht beide. »Hast du ihre Augen gesehen?«
    Sein Haar kitzelte mich an der Wange, als er nickte. »Das war der blanke Irrsinn in ihrem Blick. Sie muss wahnsinnig geworden sein.«
    Das war kein Wahnsinn, davon war ich überzeugt. Es war eine andere Person gewesen, die durch Kims Körper gehandelt hatte. Und diese Person wollte mich umbringen. Deinetwegen werde ich sterben. Ich wusste noch immer nicht, was ich dieser Fremden angetan haben sollte. Allerdings zeigte mir Skylers Reaktion, dass er die Veränderung in Kims Augen nicht bemerkt hatte. Entweder war es bereits vorbei gewesen, als er einen Blick auf sie erhascht hatte, oder aber er hatte es in seiner Aufregung nicht bemerkt.
    »Raine?« Skylers warme Berührung an meiner Wange brachte mich dazu, die Augen zu öffnen. Sein Gesicht war keine zehn Zentimeter von meinem entfernt. Behutsam lehnte er seine Stirn an meine. »Wenigstens die Schulschwester?«
    Ich erinnerte mich daran, dass es ohnehin mein Plan gewesen war, die Schulschwester aufzusuchen. Vor ein paar Minuten, die mir jetzt wie eine Ewigkeit erschienen, als ich noch geglaubt hatte, es würde genügen, Kim aus dem Weg zu gehen, bis ich nach London fahren und Antworten suchen konnte. Abgesehen davon, dass mir nichts zu fehlen schien, das sich nicht mit ein paar Schmerztabletten beheben ließ, glaubte ich nicht mehr, dass es eine gute Idee war, mich tagelang allein in meinem Zimmer zu verkriechen, wo die Fremde, die von Kim Besitz ergriffen hatte, mich jederzeit in die Finger bekommen konnte. Am sichersten wäre ich, solange andere in meiner Nähe waren. Sie würde nicht wagen, mich anzugreifen, solange es dafür Zeugen gab.
    Ich hatte meinen Entschluss gefasst. Langsam, als wäre ich selbst noch nicht vollends davon überzeugt, dass es eine vernünftige Entscheidung war, schüttelte ich den Kopf. »Nein, keine Schulschwester. Nur eine Schmerztablette.«

 16 
    Skyler brachte mich auf mein Zimmer und half mir, mich aufs Bett zu setzen. Es war wirklich erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in unserem Wohnheim bewegte, als könnte kein Hausvorsteher und keine Stockwerksaufsicht der Welt ihn davon abhalten, hier zu sein oder mein Zimmer zu betreten. Was ohnehin nicht das erste Mal war.
    »Wo sind deine Schmerztabletten?«, wollte er wissen, sobald ich saß.
    Ich dirigierte ihn zu meinem Schreibtisch und sagte ihm, in welcher Schublade er fündig wurde. Was für ein Glück, dass ich meine Tabletten nicht bei meiner Unterwäsche aufbewahrte. Noch mehr Glück war es allerdings, dass ich jegliches Zaubermaterial gut versteckt hatte, weit weg von irgendwelchen Medikamenten und anderen Dingen.
    Skyler holte mir ein Glas Wasser, gab mir zwei Tabletten in die Hand und beobachtete, wie ich sie schluckte. Als hätte er Angst, ich würde sie hinter dem Bett verschwinden lassen, wenn er nicht hinsah. Das hatte ich ganz bestimmt nicht vor. Dafür sehnte ich mich viel zu sehr danach, das Pochen in meiner Wange und das Brennen in meinem Hals zu dämpfen.
    Die Tabletten waren groß und schmerzten in meiner wunden Kehle, trotzdem schluckte ich sie hinunter und spülte mit einem großen Schluck Wasser nach. Als ich das Glas auf den Nachttisch stellte und mich Skyler wieder zuwandte, betrachtete er mich nachdenklich.
    »Du solltest dich hinlegen«, sagte er, sobald er meinen Blick bemerkte. Bevor ich etwas erwidern konnte, half er mir aus dem Blazer, streifte mir meine Schuhe von den Füßen und schlug die Decke zurück. Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich mich in die Kissen sinken.
    Skyler setzte sich neben mich auf die Bettkante. Noch immer lag diese eigenartige Mischung aus Sorge und Nachdenklichkeit in seinen Zügen. Ein Ausdruck, der ihn erschreckend düster wirken ließ.
    »Du hast vorhin etwas von Kims Augen gesagt«, erinnerte er sich. »Etwas, das fast schon geklungen hat, als wäre da mehr gewesen als nur Irrsinn.«
    Ich wollte ihm so gerne erzählen, was passiert war, wie sich Kims Augen verändert hatten und dass noch eine andere Person in ihr zu stecken schien. Aber dann wäre ich nicht umhingekommen, ihm meine Beteiligung an der ganzen Geschichte zu beichten, und so weit war ich noch nicht. Also rettete ich mich in ein Schulterzucken und

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