Die Flüchtende
runter.»
Sibylla lächelte.
«Wie? Warum?»
« Da unten wimmelt es von Polizei. Man bemerkt sie aber erst, wenn einem schon eine Pistole ins Gesicht gehalten-wird. Keine Ahnung, was die da treiben. Ich bin stinksauer!»
Sibylla nickte.
«Danke! Dann nehme ich wohl lieber einen anderen Weg.»
Die Frau und der Hund gingen weiter. Sibylla holte tief Luft.
Uno Hjelm. Der kleine Judas des Kleingartenvereins. Der Teufel sollte ihn holen!
Sie musste jetzt weg hier. Schleunigst.
Wie lange würde sie diesen Zustand aushalten?
Überleben, das war eine Sache. Das konnte sie hinkriegen. Aber fliehen ...?
Sie beschleunigte ihren Schritt. Sie bildete sich ein, sie hätten sie bereits entdeckt und wären ihr auf den Fersen.
Woher hatte Hjelm wissen können, dass sie das war? Auf dem Bild in der Zeitung konnte er sie nicht erkannt haben. Das war doch schlicht unmöglich? Wenn er sie darauf erkannt hatte, war sie verloren. Dann konnte sie sich nirgends mehr sicher fühlen.
Sie musste sich eine neue Frisur zulegen.
Sie näherte sich der Ringstraße. Es waren viele Menschen unterwegs und sie tat ihr Bestes, um in der Menge zu verschwinden.
Sahen die Leute sie nicht komisch an? Der Kerl, der da auf dem Gehsteig ankam. Warum starrte er sie so an? Ihr Herz klopfte heftig. Den Blick auf den Boden. Der Mann ging vorbei.
Wenn sie sagte, wie es gewesen war, sie würden ihr doch bestimmt glauben? Sie würden doch bestimmt verstehen, dass sie ausnahmsweise mal in einem Bett schlafen wollte? Sie hatte es zurückzahlen wollen. Ganz bestimmt! Sie hatte bloß ihre Brieftasche verloren. Und das war in der Tat so.
Die Treppe zur U-Bahn hinunter war voller Leute.
Sie ging weiter.
Doch wohin sollte sie gehen?
Von der Renstiernas Gata aus stieg sie die Treppen zum Vitabergspark hinauf. Die Sofienkirche thronte wie eine Burg über ihr. Mächtig und sicher. Sie war müde und wollte sich ein Weilchen setzen. Sie drehte sich um. Der Fußweg zur Straße hinunter war leer. Ihr war niemand gefolgt.
Die Stille in der Kirche war kompakt. Ein älterer Mann saß rechts neben der Tür in einem Glaskasten und nickte ihr würdevoll zu, als sie eintrat. Sie nickte zurück und nahm ihren Rucksack ab.
Ein Mann mit Pferdeschwanz saß schlafend in der Bank unter der Kanzel, ansonsten war die Kirche leer. Sie kannte ihn. Sie hatte ihn ein paar Mal bei der Stadtmission gesehen. Jetzt schlief er, das Kinn auf der Brust.
Sie stellte den Rucksack an der hinteren Bank ab und setzte sich.
Schloss die Augen.
Einfach Ruhe.
Ein einziger Wunsch.
Der Mann in dem Glaskasten hustete, und das Geräusch rollte zwischen den Wänden dahin. Dann senkte sich wieder die Stille herab.
Gott hört ein Gebet.
Das hatte sie auf einem Plakat gleich neben der Tür gelesen.
Sie öffnete die Augen und betrachtete das riesige Altarbild vor sich. So viele Menschen, die seit Jahrhunderten ihr Leben in seine Hände gelegt, diese gewaltigen Gebäude errichtet und sich mit ihren Gebeten an ihn gewandt hatten. Auch sie. Als sie noch klein war. Jeden Abend das gleiche Gebet. Gott, er liebt die Kinderlein und Lieber Gott, die Eltern mein, lass sie noch nicht sterben.
Womöglich hatte er sie ja doch gehört? So viel sie wusste, lebten sie und waren bei guter Gesundheit. Aber Sieh auf mich, ich bin so klein ist unterwegs bestimmt verloren gegangen. Oder war er auch auf deren Seite?
Der anderen. Derer, die sich einfügten.
Aber Stinsen, der im vorigen Monat nach vier misslungenen Entgiftungsversuchen von der Västerbron sprang? Seine Gebete, wo waren die gelandet? Oder Lena, die mit dem Bus der Heilsarmee immer Kaffee brachte und plötzlich erfuhr, dass sie einen Gehirntumor hatte, der nicht zu operieren war, was hatte sie getan, um so was zu verdienen? Oder Tova und Jönsson und Smirre? Alle waren sie jetzt tot, nachdem sie jahrelang in einer Hölle gelebt hatten, ohne dass ihre Gebete erhört worden wären.
Nein, Du, Gott.
Und Jörgen Grundberg? Was immer er getan haben mag, mich brauchtest Du doch nicht mit da reinziehen.
Oder willst Du auch mich strafen? Und wenn das so ist, WANN bin ich genug gestraft?
Sie erhob sich und schnallte sich den Rucksack auf den Rücken. Hier gab es keinen Frieden.
Ohne den Mann im Glaskasten anzusehen, verließ sie die Kirche.
Als sie hinauskam, ging bereits die Sonne unter. Sibylla trat ein Stück von der Tür zurück, um die Kirchturmuhr sehen zu können. Viertel nach ftinf.
In dieser Nacht würde sie wirklich gern in einem Bett
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