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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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ihrem Brustbeutel ein wenig für ein Haarfärbemittel borgte, könnte sie hinterher zur Drottninggatan gehen und das Geld abholen.
    Der 76er würde sie nach Ropsten bringen. Sie vermied es normalerweise Bus zu fahren. Die U-Bahnsperren waren leichter zu passieren. Sie zog einen Zwanziger aus dem Brustbeutel, ging zur Renstiernas Gata hinunter und stellte sich an die Haltestelle.
    Zum ersten Mal seit sechs Jahren hatte sie aus dem Brustbeutel Geld genommen.
    Der Teufel soll sie holen!
    Anfangs war sie allein an der Haltestelle, aber nach ein paar Minuten bekam sie Gesellschaft. Niemand beachtete sie, trotzdem versuchte sie, den Blicken der Leute auszuweichen.
    Als der Bus kam, gab es genügend Plätze, obwohl es mitten in der Hauptverkehrszeit war. Vierzehn Kronen für eine Fahrt. Ein ganzes Vermögen.
    Sie setzte sich ganz nach hinten und stellte den Rucksack auf den Sitz neben sich. Erst bei Slussen waren alle Plätze besetzt, und eine Frau sah gereizt auf ihren Rucksack. Normalerweise hätte das keine Rolle gespielt, aber jetzt wollte sie auf keinen Fall, dass irgendjemand sie ansah.
    Sie nahm ihr Gepäck auf den Schoß; die Frau setzte sich neben sie und holte eine Zeitung aus ihrer Aktentasche.
    Sibylla schaute aus dem Fenster. Sie waren jetzt an der Skepps- bron. Sie kamen an einem Tabakladen vorbei und der Bus blieb direkt davor an einer roten Ampel stehen. Der Tabakwarenhändler brachte gerade die Aushänge des Tages an, und in dem Moment, in dem sie anfuhren, trat er zur Seite, sodass der Text zu sehen war.
    Ihre Augen lasen ganz von allein und gaben die Information unaufgefordert ans Gehirn weiter.
    Das konnte nicht wahr sein!
    Lange Zeit saß sie einfach nur da und starrte vor sich hin. Angst und Verwirrung pulsierten durch ihren Körper. So als ob langsam eine Schlinge um ihren Hals zugezogen würde.
    Ein Gesicht im Bus war ihr zugewandt und löste ihre Erstarrung. Instinktiv schob sie den Rucksack hoch und benutzte ihn als Barriere. Nun konnte sie auch die aufgeschlagene Zeitung auf dem Schoß der Frau neben sich sehen.
    Sie wollte sie gar nicht sehen, aber ihre Augen führten schon wieder ein Eigenleben.
    Allein schon von der Schlagzeile wurde ihr schlecht.
    Mehr vermochte sie nicht zu lesen. Den Rest der Fahrt starrte sie unverwandt auf ihren Rucksack, und erst als die Frau ihre Zeitung zuschlug und ausstieg, wagte sie sich wieder zu rühren.
    An der Endstation war sie die Einzige im Bus. Als sie sich erhob, um auszusteigen, sah sie, dass die Frau die Zeitung auf dem Sitz hatte liegen lassen.
    Sie wollte es nicht.
    Aber sie wusste, dass sie es tun musste.
    Der Teufel soll sie holen!
    Sie stieg aus und steckte die Zeitung in den Rucksack.
    Auf dem Weg zur Nimrodsgatan ging sie zum Konsum und kaufte sich eine Packung Casting Schwarz. Sie öffnete den Brustbeutel zum zweiten Mal und zwackte etwas von ihrem Schatz ab. Sobald sie bei der Post ihr Almosen abgeholt hätte, würde sie alles zurückzahlen.
    Das Mietshaus in der Nimrodsgatan war ein Ort von unschätzbarem Wert für sie und etliche andere in ihrer Situation. Über ein solches Kleinod schwieg man in ihren Kreisen, und sie hatte für die Auskunft einst teuer bezahlen müssen.
    Aber nicht mit Geld.
    Die Eingangstür war Tag und Nacht offen. Die Wohnungen in dem Haus hatten keine Dusche, und deshalb gab es im Keller mehrere gut ausgestattete Duschräume. Schön gekachelt, unbegrenzte Mengen warmen Wassers, Toiletten mit Toilettenpapier.
    Und Schlösser.
    Sie war eine der Eingeweihten, die wussten, wo der Reserveschlüssel lag. Vom Erdgeschoss aus ging man eine halbe Treppe tiefer, und gleich vor der Kellertür, der Pforte zu all der Herrlichkeit, war eine alte Eisenklappe. Dahinter verwahrten die Mieter einen Extraschlüssel, der an einem halbmeterlangen Holzstück
    befestigt war, damit es niemandem einfiele, ihn in die Tasche zu stecken.
    Dieser Schlüssel war sein Gewicht in Gold wert. Wenn nicht mehr.
    Und war man erst einmal drinnen, dann konnte man hinter sich abschließen.
    Von innen.
    Zuerst füllte sie das Waschbecken auf der Toilette mit Wasser und weichte ihre Unterhosen ein. Ein paar Tropfen Shampoo mussten als Waschmittel herhalten. Dann zog sie sich ganz aus und drehte das warme Wasser in der Dusche auf. Sie hatte Glück. Irgendjemand hatte eine Flasche Duschgel vergessen.
    Sie schloss die Augen, aber das Einzige, was sie vor sich sah, war das Bild in der Zeitung, das sie im Bus gesehen hatte.
    Wann würde es ein Ende haben?
    Wann würden

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