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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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darauf, ihn wieder sehen zu können. Sein Duft, wenn er nahe bei ihr stand und ihr ein Detail unter der Motorhaube zeigte. Die Bewunderung über sein enormes Wissen. Zu sehen, wie sich seine Hände geschickt über die Motorteile bewegten.
    Die Sehnsucht danach, sich einfach im selben Raum zu befinden.
    Wie er.
    Nach dem Sommer kam sie in die erste Gymnasialklasse und musste nach Vetlanda zur Schule fahren. Wenn sie selbst hätte wählen dürfen, wäre sie in die fahrzeugtechnische Klasse gegangen, aber sie war klug genug gewesen, das niemandem außer Micke gegenüber zu erwähnen. Vor allem zu Beatrice Forsenström hatte sie nichts davon gesagt. Sibyllas Mutter meinte, sie solle den dreijährigen Wirtschaftszweig besuchen, damit sie später im Familienbetrieb mithelfen könne. Außerdem hatte das Status.
    Selbstverständlich wurde es so gemacht, wie ihre Mutter es wollte.
    Manchmal, wenn er in der Stadt etwas zu erledigen hatte, holte Micke sie nach der Schule ab. Sie blieb heimlich zurück, sodass sie den Schulbus versäumte, und ging von der Schule aus ein paar Straßen weiter, um voller Eifer und Stolz in den De Soto zu schlüpfen. Glücklich im Beifahrersitz versunken, ließ sie sich die vierzig Kilometer bis Hultaryd chauffieren, aber nie nach Hause. Nie in Sichtweite.
    Einmal, auf einer dieser Fahrten, war er gleich hinter Vetlanda in einen Waldweg eingebogen. Sie sah ihn an, aber er hielt die Augen auf den Weg gerichtet. Keiner von ihnen sagte etwas.
    Irgendetwas in ihr wusste, was passieren würde. Sie hatte darauf gewartet.
    Er hielt an, sie stiegen aus und sahen sich an. Mit einem Ge-fühl totaler Verzückung und Zusammengehörigkeit umarmte sie ihn.
    Sie war auserwählt.
    Ganz behutsam war er auf der braun karierten Decke in sie eingedrungen.
    Nur sein. Nur ihr.
    Sie schaute verstohlen auf sein Gesicht und wunderte sich über den Genuss, den sie ihm bereiten konnte. Er war wie verschlungen von ihr. All seine Gedanken in ihr gesammelt. Sein Körper in Verzückung über den ihren. Für sie. Sie beide, zusammengekettet. Zusammen.
    Was auch immer für eine Sekunde dieser Nähe. Was auch immer.
    Die Bratkartoffel wuchs im Mund. Ihre Eltern aßen schweigend. Die Pein vor dem Ausbruch. Kann nicht schlucken. Zwei Gabeln in der Hand. Drei. Der Tisch wogt. Muss schlucken.
    Der Schreck im Magen will nach oben. Schluck, in Gottes Namen. Schluck! Mach es nicht schlimmer, als es ist.
    Verzeiht mir. Verzeiht. Sagt, was ich machen soll, damit mir verziehen wird. Lasst mich nur nicht länger warten. Ich mache alles, damit ihr mir verzeiht. Alles.
    Beatrice Forsenström legte ihr Besteck hin. Sie sah Sibylla noch immer nicht an, als sie mit einer einzigen Bemerkung den Abgrund aufriss.

    «Ich habe gehört, dass du mit Straßenkreuzern fährst.»
    Eine Frau mit einer Bulldogge, die rettete sie. Sibylla sah sie schon von weitem allein am Ende der Gräsgatan stehen, wo der Fußweg zur Laubenkolonie von Eriksdal begann, und gestikulieren. Erst als sie näher kam, entdeckte sie in ihrem Ohr den kleinen schwarzen Kopfhörer sowie das Kabel zu einem Mobiltelefon. Nach den neuesten Erkenntnissen sollte so etwas die Benutzer solcher Geräte vor der Verstrahlung wichtiger Teile ihres Gehirns bewahren. Das hatte sie in der Zeitung gelesen.
    «Ich bin stinksauer!»
    Sibylla wurde langsamer und hörte neugierig zu. Die Bulldogge hatte sich hingesetzt und betrachtete mit Interesse ihr erregtes Frauchen.
    «Verdammt nochmal, wir leben doch hier in keinem Polizeistaat ... Das ist mir scheißegal, nach wem ihr sucht. Wenn ich in Schweden spazieren gehe, dann setze ich voraus, dass ich nicht plötzlich eine Pistole ins Gesicht gedrückt bekomme. Mensch, das ist doch nicht normal!»
    Sibylla blieb stehen.
    «Nein, ich denke nicht daran, mich zu beruhigen! Ich werde Anzeige erstatten. Nicht einmal entschuldigt haben die sich. Die haben mich gezwungen mich auszuweisen, bevor ich weitergehen durfte ... Ich bin stinksauer!»
    Die Frau verstummte und hörte jemandem am anderen Ende der Leitung zu. Sie warf Sibylla einen Blick zu und die sah sofort in eine andere Richtung.
    «Ja ... Nein, das werde ich nicht tun. Und wenn Sie meine Anzeige nicht entgegennehmen, werde ich bei einer anderen Dienststelle anrufen.»
    Die Frau beendete das Gespräch und steckte das Telefon in die Tasche. Der Hund stand auf.
    «Komm, Kajsa!»
    Die Frau und der Hund überquerten die Straße. Sibylla blieb auf der anderen Seite stehen.
    «Gehen Sie bloß nicht da

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