Die Flüchtende
Totschläger und Unzüchtigen und Zauberer und Götzendiener und aller Lügner, deren Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt.
Das ist der zweite Tod.»
Herr, ich habe meine Pflicht getan. Jetzt kann ich nur noch warten.
Sie war schon lange wach, als er endlich die Augen aufschlug. Hatte dagelegen und ihn heimlich betrachtet. Irgendwann in der Nacht musste er aufgewacht sein und gefroren haben, denn er hatte sich die Jacke angezogen.
Sie hatte, während sie so dagelegen und ihn betrachtet hatte, eine Entscheidung getroffen. In den frühen Morgenstunden war sie zu dem Schluss gekommen, dass es ihre einzige Chance sei, ihm alles zu erzählen.
Sie brauchte seine Hilfe.
Um die schonendste Formulierung zu finden, hatte sie die Worte lange gedreht und gewendet.
Er streckte als Erstes die Hand nach seiner Brille aus, nachdem er aufgewacht war. Als er sie auf der Nase hatte, setzte er sich auf und sah zu ihr herüber. Er zog sich den Schlafsack hoch.
«Kotz, wie kalt das ist! Tierisch nett, das mit der Jacke. Willst du sie zurückhaben?»
«Du kannst sie erst mal behalten. Mein Schlafsack ist wärmer.»
Die Uhr hinter ihm zeigte zehn nach neun.
«Wann fängst du an?»
Er sah sie an.
«Guten Morgen auch! Heute ist Samstag.»
Sie lächelte. Guten Morgen auch! Das hatte sie nicht mitgekriegt.
Er streckte eine Hand aus dem Schlafsack und schnappte sich die Grilltüte mit den Spareribs, legte sie sich auf den Schoß und hob ein Ende davon an.«Äh! Zum Frühstück schon Spareribs.»
«Ich habe Knäckebrot, wenn du welches möchtest. Und Joghurt.»
Das hörte sich offenbar besser an. Er schubste die Tüte auf den Fußboden und stand ohne den Schlafsack zu verlassen auf. Hüpfend kam er auf sie zu.
«Lass das! Der Fußboden kann wirklich einbrechen!»
«Ach was.»
Mit einem Plumps ließ er sich neben ihr nieder. Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. Er grinste und stopfte sich das Knäckebrot in den Mund.
Offensichtlich hatte er ordentlich Hunger. Als er sich die siebte Scheibe in den Mund steckte, räumte sie die Packung weg.
«Morgen ist auch noch ein Tag.»
«Ach was, wir können wieder welches kaufen.»
Sie sah ihn an und er machte eine Miene, als ob er kapierte, was er da Dummes gesagt hatte.
«Ich kann noch welches kaufen. Du kannst Geld haben von mir.»
«Nein danke.»
Jetzt war der richtige Moment gekommen. Wie sollte sie bloß anfangen?
Sie holte tief Luft, um sich Mut zu machen.
« Liest du eigentlich Zeitung?»
Er zuckte die Schultern.
«Manchmal. Meine Mutter möchte, dass ich Dagens Nyheter lese, aber die ist so verflucht dick. Da braucht man ja mehrere Stunden dazu. Ich gucke immer ein bisschen in Expressen, wenn mein Vater nach Hause kommt.»
Er sah sie an.
« Und du?»
«Ja. Wenn ich an eine rankomme. Manchmal lese ich im Kulturhaus. Die haben dort alle Zeitungen.»
Das hatte er nicht gewusst, sie konnte es ihm ansehen, aber er nickte.
Sie fuhr fort:
«Hast du gestern Zeitung gelesen?»
Er schüttelte den Kopf.
«Halt! Doch, na klar! Die Freitagsbeilage.»
Sie wusste nicht, wie sie weitermachen sollte. War es wirklich richtig, so vorzugehen? Solange er geschlafen hatte, war sie überzeugter davon gewesen.
«Du - bist du schon mal für etwas beschuldigt worden, was du nicht getan hast?»
«Ja. Ist schon vorgekommen. Hattest du nicht ein bisschen Joghurt oder was?»
Sie seufzte und gab ihm die Literpackung.
«Kann ich direkt daraus trinken?»
«Ja. Wenn du keinen Teller dabeihast.»
Er grinste wieder und trank.
Sie holte abermals tief Luft. Der Anfang war am schwierigsten.
«Mir ist das nämlich passiert.»
Er war ganz auf den Joghurt konzentriert. Der war zähflüssig und wollte am liebsten in der Verpackung bleiben. Patrik schlug mit der Hand leicht auf den Boden.
« Sagt dir der Name Sibylla etwas?»
Er nickte und trank dabei weiter.
«Jetzt darfst du keine Angst kriegen, Patrik.»
Sie zögerte kurz ein letztes Mal, bevor sie fortfuhr.
«Sibylla, das bin ich.»
Zunächst passierte gar nichts. Dann merkte sie, wie der Groschen fiel. Sein Körper wurde starr, als ihm bewusst wurde, was sie gesagt hatte. Langsam entfernte sich die Joghurtpackung von seinen Lippen. Er wandte den Kopf und sah sie an. Sie merkte, dass er jetzt Angst hatte.
«Ich habe das nicht getan, Patrik. Ich war nur zufällig im Grand Hotel, als es passierte. Ich schwöre bei Gott, dass ich unschuldig bin.»
Er war alles andere als überzeugt. Er wandte für ein paar
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