Die Flüchtende
ähnlicher Morde, die seit den 60er Jahren in Schweden begangen wurden, belegt, dass unter den Tätern Berufsgruppen wie Metzger, Arzte, Jäger und Veterinäre überdurchschnittlich vertreten sind. Laut Sten Bergman, Professor für Forensische Psychiatrie, beruht dies teils darauf, dass sie den Abscheu überwunden haben, den die meisten Menschen vor einer Zerstückelung empfinden, teils darauf, dass sie die notwendigen rein technischen Kenntnisse besitzen. Hierin entspricht den polizeilichen Nachforschungen zufolge die 32-jährige Frau nicht der Statistik. In den polizeilichen Ermittlungen deutet nichts darauf hin, dass sie Verbindung zu oder Erfahrung in den oben genannten Berufen gehabt hat. Aber es bedarf natürlich noch weiterer Umstände, um einen potenziellen
Mörder und Leichenschänder hervorzubringen: ein psychischer Defekt, der mangelndes Einfühlungsvermögen und starke Verachtung anderen Menschen gegenüber zur Folge hat. Schwere psychische Krankheiten können so ein Verhalten ebenfalls auslösen. In einigen Fällen können die Täter sich z. B. nicht von ihren Opfern trennen, was auf die 32-jähr ige Frau zuzutreffen scheint. Sie wollen eine Trophäe behalten, die an den Toten und in manchen Fällen an die Tat selbst erinnert. Das vermittelt ihnen das Gefühl, Macht zu haben über Leben und Tod. Die Opfer der Frau sind alle einer sog. aggressiven Zerstückelung ausgesetzt gewesen, die sich von der passiven Zerstückelung dadurch unterscheidet, dass diese später ausgeführt wird, um das eigentliche Verbrechen zu kaschieren und die Ermittlungen zu erschweren. Bei den aktuellen Fällen wurden solche Anstrengungen nicht unternommen, die Absicht der Frau scheint vielmehr allein die Schändung ihrer Opfer gewesen zu sein. Die Polizei hält nach wie vor Angaben darüber zurück, welche Körperteile die Frau ...
Sie stand auf und warf die Blätter auf den Boden.
«Ich kriege das nicht auf die Reihe. Mehr kann ich davon nicht lesen.»
Sie hatte die Stimme erhoben, und Patrik drehte sich um und sah sie an. «Ruhe!»
Sie setzte sich wieder. Die Maschine gab immer noch Papier von sich, aber Sibylla wollte nichts mehr lesen. All das hatten irgendwelche Leute über sie geschrieben. Niemand hatte sich je zuvor für sie interessiert, und jetzt war sie mit einem Mal die meisterörterte Person Schwedens.
Es war zum Kotzen.
«Ich hau jetzt ab. Ich kann nicht hier bleiben.»
Er drehte sich um und sah sie an.
«Wo willst du denn hin?»
Sie seufzte und gab keine Antwort.
In der Wohnung wurde eine Tür geöffnet und sie sahen sich erschrocken an. Sie saßen mucksmäuschenstill und horchten. Gleich darauf hörten sie Wasser rauschen. Sibylla sah sich nach einem Versteck um.
«Er muss wohl nur aufs Klo», flüsterte Patrik beruhigend.
Sie war jedoch alles andere als ruhig. Als das Wasser zu rauschen aufhörte, warf sie sich auf den Boden und robbte unters Bett. Im nächsten Moment klopfte es an der Tür.
« Patrik?»
Er antwortete nicht. Sibylla sah seine Füße auf dem Bett verschwinden, und im nächsten Augenblick ging die Tür auf. Ein Paar nackter, behaarter Beine trat ein.
«Schläfst du?»
«Mmmm.»
«Es ist nach elf Uhr.»
Plötzlich hörte sie ein Surren und das Rascheln von einem nachzüglerischen Blatt Papier, das die Maschine auf dem Schreibtisch von sich gab.
«Was ist das?»
Die dunkel behaarten Beine kamen ein paar Schritte näher. Im nächsten Moment landeten Patriks jeansbekleidete vor ihrer Nase. Sie hörte das Papier knistern.
«Nichts Besonderes.»
«Ach, tatsächlich? Warum schläfst du denn in deinen Sachen?»
«Ich habe mich nur mal ein bisschen hingelegt.»
«Aha. Was druckst du da aus?»
«Ich surfe ein bisschen im Internet.»
Einige unerträgliche Sekunden lang war es still.
«Ich lege mich nochmal hin. Bleibst du denn heute zu Hause?»
«Ich weiß noch nicht. Mal sehen.»
«Sei spätestens um zehn Uhr wieder da. Und ruf an und sag, wo du bist.»
Sie hörte, wie Patrik seufzte. Die Beine machten sich zum Gehen bereit, blieben aber noch einmal stehen.
«Was ist das für ein Rucksack?»
Sibylla schloss die Augen. Patrik ließ sich mit seiner Antwort viel zu viel Zeit. Du hast ihn gefunden. Geklaut. Was, zum Geier, auch immer!
«Der gehört Viktor.»
Noch besser.
«Warum hast du den hier?»
«Er hat ihn in der Schule vergessen und ich habe versprochen, ihn mit nach Hause zu nehmen.»
Die Beine gingen weiter.
« Dann bis später. Und vergiss nicht, hier aufzuräumen,
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