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Die Flüchtende

Die Flüchtende

Titel: Die Flüchtende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Ist das Liebe? Ist es das? Denjenigen, den man zu lieben behauptet, aufzuschlitzen und seine Überreste in alle Winde zu zerstreuen.»
    Er stand auf. Die Bewegung erfolgte so plötzlich, dass sie zurückwich und der Stuhl hinter ihm umfiel. Mit einem Knall landete die Rückenlehne des Sprossenstuhls auf dem Fußboden. Er hob ihn auf und ging zur Spüle, holte die Kaffeekanne und kehrte an den Tisch zurück.
    « Noch Kaffee?»
    Sie schüttelte verwirrt den Kopf und er schenkte sich selber etwas ein. Als er ihr den Rücken zukehrte, um die Kanne zurückzubringen, sah sie sich um. Hinter ihr befand sich eine geschlossene Tür.
    «Ich dachte, es würde mir besser gehen, wenn ich eine Zeit lang von hier wegkäme. Wenn es mir erspart bliebe, Tag für Tag ihr scheinheiliges Gesicht im Frühstücksraum zu sehen.»
    Zwischen ihrem Rücken und der geschlossenen Tür waren ungefähr zwei Meter Abstand.
    «Es gab nur noch eine Reise da unten im Reisebüro. Es war das erste Mal, dass der Herr in mein Leben eingriff, aber das wusste ich damals noch nicht.»
    Er war jetzt ganz entspannt. Trank einen Schluck Kaffee und sah aus dem Fenster. Zwei Freunde, die sich viel zu erzählen hatten und zusammen Kaffee tranken.
    «Auf Malta gibt es eine Stadt, die heißt Mosta, und dort gibt es eine Kathedrale. Diese wollte der Herr mir zeigen. Ich habe einen der Ausflüge von Freizeitreisen mitgemacht, um nicht allein sein zu müssen. Dieser Ausflug hat mein Leben völlig verändert.»
    Er faltete die Hände und legte sie vor sich auf den Tisch.
    «Es war, als ob mir jemand einen Filter von den Augen gezogen hätte. Als ob ich endlich sehen könnte.»
    Dankbarkeit umstrahlte ihn.
    «Am neunten April neunzehnhundertzweiundvierzig war diese Kirche voller Leute. Ganz normale Menschen, die wie gewohnt ins Hochamt gegangen sind. Plötzlich fällt eine Bombe durch die Kuppel. Zersplittert das prächtige Glasdach und stürzt in den Gang. Aber sie explodiert nicht. Wie durch ein Wunder Gottes detoniert sie nicht, die ganze Gemeinde kann das Hochamt vielmehr ohne eine Schramme verlassen. Ist das nicht ein Wunder?»
    Falls er eine Antwort darauf wollte, dann wartete er vergebens.
    «Es war ein englischer Flieger, der die Bombe aus Versehen abgeworfen hatte.»
    Er starrte sie an.
    «Verstehst du nicht?»
    Sie schüttelte leicht den Kopf.
    «Ihre Zeit war noch nicht gekommen. Gott hatte noch keinen von denen, die sich damals in dieser Kirche befanden, gerufen. Sie sollten noch nicht sterben. Deshalb hat er eingegriffen und alles ins Lot gebracht.»
    Er schwieg und sah eine Weile aus dem Fenster, bevor er fortfuhr:
    «Aber Rune ... ihn hat der Herr gerufen. Warum, weiß ich nicht, ich warte noch immer darauf, dass der Herr mir eine Antwort gibt. Vielleicht wird er es jetzt tun, da mein Auftrag ausgeführt ist.»
    Sibylla schluckte. Sie fürchtete, dass seine Beichte sich ihrem Ende näherte.
    «Aber sie ließ ihn nicht sterben. Sie nahm die Macht Gottes in ihre eigenen Hände und hielt ihn hier bei uns auf Erden am Leben ... Fing ihn auf halbem Weg ins Himmelreich ab.»
    Sein Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzogen.
    «Wie hätte ich das denn zulassen können?»
    Er hielt noch immer die Hände vor sich gefaltet.
    «Und ich werde große Rache an ihnen üben und sie im Grimm züchtigen. Und wenn ich sie meine Rache spüren lasse, dann werden sie erfahren, dass ich der Herr bin.»
    Er verstummte.
    Ihre Angst, die vor einer Weile einer Art Tatkraft gewichen war, kehrte mit neuer Wucht zurück.
    Sie brauchte mehr Zeit.
    «Und diejenigen, die Sie getötet haben? Was sagt Gott über die?»
    Er legte den Kopf schräg und sah sie verwundert an.
    «Hast du denn nicht verstanden?»
    Sie traute sich nicht einmal, den Kopf zu schütteln.
    «Der Herr hat sie gerufen. Sie sollten sterben. Mit welchem Recht gebieten wir Seinem Willen Einhalt?»
    Sie wusste keine Antwort. Zu sagen, dass er verrückt sei, würde ihr kaum weiterhelfen.
    «Und ich?», fragte sie schließlich.
    Da lächelte er wieder.
    «Du bist ebenfalls auserwählt.»
    Er sagte das so, dass es wie ein Kompliment klang. «Der Herr hat auch dich als sein Werkzeug ausersehen. Wir beide sind zur selben Vollendung berufen.» Jetzt war die Zeit bald abgelaufen. «Und was ist mein Aufgabe?» Sein Lächeln breitete sich übers ganze Gesicht. «Mich zu schützen.»
    Im nächsten Augenblick war sie auf den Beinen. Ohne zu zögern, warf sie sich nach hinten und bekam die Klinke der verschlossenen Tür zu fassen.

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