Die Fluesse von London - Roman
meinte sie, packte meinen Arm und riss mich so heftig zurück, dass ich fast hingefallen wäre. Wir rannten einen der düsteren, von Läden gesäumten Backsteinkorridore hinunter, die zum Zentrum der Markthalle führten. Da es schon später Abend war, waren die meisten Läden geschlossen, aber mehrere Stände, die Drinks und die üblichen Ethno-Snacks anboten, hätten eigentlich um diese Zeit noch kräftig Touristen schröpfen und ein glänzendes Geschäft machen sollen. Doch es war kein Mensch zu sehen, und ich konnte nur hoffen, dass sich sowohl die Händler als auch ihre Kunden in Sicherheit gebracht hatten.
Hinter uns hörte ich die Sängertruppe ein durchdringendes Heulen ausstoßen, in schönster Harmonie, und darüber erhob sich das grell kreischende Gelächter des Avatars von Aufruhr und Rebellion. Es folgte eine kurze, unheilvolle Stille, dann landete die erste der Feuerbomben auf dem Dach. Lesley hatte gesagt, sie wolle nicht meinen Tod, aber allmählich kam mir der Verdacht, dass sie dabei vielleicht ein klein wenig geschwindelt hatte.
Beverley zog mich in einen der überdachten Höfe, und dort stießen wir auf die deutsche Familie. Fünf Personen, ein kräftig gebauter, dunkelhaariger Vater, eine blonde Mutter mit scharfen Gesichtszügen und drei Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren. Sie mussten hinter einemder Snackstände Deckung gesucht haben, als die Unruhen ausbrachen, und kamen gerade vorsichtig aus ihrem Versteck hervor, als sie Beverley und mich auf sich zustürmen sahen. Die Mutter schrie entsetzt auf, die älteste Tochter kreischte laut und der Vater stellte sich uns in den Weg. Er schien eigentlich nicht kämpfen zu wollen, aber, bei Gott, er war bereit, seine Familie gegen alle gefährlichen Gewaltverbrecher zu verteidigen, mochten die auch noch so klischeehaft aussehen und mochten seine Chancen auch noch so schlecht stehen. Ich reckte ihm meine Kennkarte entgegen und er atmete erleichtert auf.
»Polizei!«, erklärte er seiner Frau und den Kindern, und dann erkundigte er sich sehr höflich, ob wir der Familie helfen könnten.
Ich erklärte ihm, dass wir ihnen sehr gern helfen würden, indem wir sie zum nächsten Ausgang führten und ihnen den Weg aus dem Gefahrenbereich wiesen. Ich schwitzte plötzlich stark und merkte, dass das Feuer hinter mir enorme Hitze entfaltete. Der gesamte hintere Teil der Markthallen stand in Flammen – ich legte dem Vater eine Hand auf den Rücken und die andere dem älteren Sohn auf die Schulter und schob sie in die andere Richtung. »
Raus! Raus!
«, schrie ich und hoffte, dass ich das richtige deutsche Wort erwischt hatte.
Beverley rannte auf die bislang noch nicht unter Beschuss stehende südwestliche Ecke der Markthalle zu, aber wir waren kaum an der zweiten Reihe von Verkaufsständen vorbei, als sie so plötzlich abbremste, dass ich und die deutsche Familie gegen sie prallten. Vor uns an der Westfassade lieferte sich eine Bande von Randalierern ein Gefecht mit den Polizeikräften.
»Wir sitzen in der Falle«, sagte Beverley.
Die Randalierer standen mit dem Rücken zu uns, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen sich umdrehte.
Einer der Verkaufsläden in der Nähe sah erstaunlich ungeplündert aus, und obwohl es im Allgemeinen keine wirklich kluge Idee ist, bei einem Brand in ein Gebäude hineinzulaufen, blieb uns keine andere Wahl. Erst als wir in den Laden hineingestürzt waren und ich hinter einer Schaufensterpuppe hockte, die nichts außer zwei hauchdünnen winzigen Stückchen Seide trug, merkte ich, dass es sich um eine Filiale von
Seraglio
handelte. Ich überredete die Familie, sich hinter den Tresen zu kauern, damit sie von draußen nicht zu sehen waren.
»Bitte«, flehte die Mutter, »was ist hier los?«
»Keinen blassen Schimmer, Schwester«, sagte Beverley. »Ich arbeite hier nur.«
Die Markthallen von Covent Garden beherbergen unter ihrem riesigen Dach aus Eisen und Glas vier parallele Reihen von Läden. Ursprünglich hatte es sich um Obst- und Gemüsestände gehandelt, die an der Vorderseite offen waren, später hatte man sie mit Fenstern ausgestattet und die Fronten verstärkt. Trotzdem waren sie kaum drei Meter tief. In diese Kleinstläden waren nicht nur Cafés eingezogen, sondern auch Kunsthandwerkgeschäfte und Miniaturfilialen der großen Modeketten, die in etwas so Unwichtigem wie extrem winzigen Verkaufsflächen keinen Grund sahen, auf einen Anteil am höchst profitablen Geschäft mit ausgabefreudigen
Weitere Kostenlose Bücher