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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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Touristen zu verzichten. Die Folge war, dass unser kleiner Zufluchtsort mit Schaufensterpuppen völlig überfüllt war, wenn auch von dergeschmackvollen schwarzsilbernen Variante, die in verwirrend spärliche Seidenstückchen gekleidet waren. Ich hoffte, dass wir zwischen all den Puppen von außen nicht so gut zu sehen waren.
    Meine Hoffnung wurde auf eine erste Probe gestellt, als eine Gruppe von Randalierern am Schaufenster vorbeizog. Nach ihren zerrissenen Jacketts und ihren verdreckten weißen Hemden zu urteilen, handelte es sich dabei um Leute aus dem Publikum und nicht um Sänger oder Bühnenarbeiter. Ich hielt den Atem an, als sie vor dem Laden stehen blieben und sich in Börsenmaklerart etwas zubrüllten.
    Seltsamerweise empfand ich keine Angst. Stattdessen war ich beschämt   – darüber, dass diese sympathische Wiedergeburt der Trapp-Familie in meine Stadt gekommen war und hier nicht einfach sanft um ihr Geld gebracht wurde, sondern Gefahr lief, um ihr Leben gebracht zu werden   – durch gewalttätige Londoner mit äußerst schlechten Manieren. Das machte mich echt sauer.
    Die Börsenmakler zogen weiter in Richtung Westen.
    »Okay«, sagte ich nach einer Minute. »Ich gehe mal raus und checke die Lage.«
    Ich schlüpfte durch die Ladentür und blickte um mich. Auf der Plusseite war zu verbuchen, dass keine Randalierer zu sehen waren. Auf der Minusseite, dass das wahrscheinlich nur deshalb so war, weil alles um mich herum lichterloh in Flammen stand. Ich lief ein paar Schritte zum nächsten Ausgang, aber schon nach kürzester Zeit wurde die Hitze so stark, dass es mir die Nasenhaare versengte. Ich flüchtete mich schnell wieder in den Laden zurück.
    »Beverley«, sagte ich. »Wir sitzen ganz tief in der Scheiße.« Ich erzählte ihr von dem Feuer.
    Mutter Trapp runzelte die Stirn. Offensichtlich war sie die Linguistin der Familie. »Gibt es irgendein Problem?«, fragte sie.
    Die Flammen spiegelten sich deutlich in den Schaufenstern und auf den ausdruckslosen silbernen Gesichtern unserer Schaufensterpuppen wider, also war es wohl sinnlos, ihr etwas vorzulügen. Sie schaute auf ihre Kinder, dann blickte sie wieder mich an. »Können Sie denn gar nichts tun?«
    Ich schaute Beverley an.
    »Kannst du nicht irgendetwas zaubern?«, fragte sie.
    Es wurde definitiv heißer. »Kannst du es nicht?«, fragte ich zurück.
    »Du musst sagen, dass es okay ist.«
    »Was?«
    »So lautet die Abmachung«, erklärte Beverley. »Du musst sagen, dass es okay ist.«
    Eine der Schaufensterscheiben knackte und zersplitterte. »Es ist okay«, sagte ich. »Tu, was du tun musst.«
    Beverley warf sich nieder und presste ihre Wange auf den Boden. Ich sah, dass sich ihre Lippen bewegten, und fühlte, wie eine Empfindung durch mich hindurchging, etwas wie Regen, das Geschrei von Jungs, die in der Ferne Fußball spielten, der Geruch von Rosen in Vorgärten, von frisch gewaschenen Autos, abendlicher Fernsehschein hinter Tüllgardinen.
    »Was macht sie da?«, fragte die Mutter. »Sie betet für uns, ja?«
    »So ähnlich.«
    »Psst«, sagte Beverley und setzte sich auf. »Ich lausche.«
    Etwas flog durchs Fenster, prallte von der Wand ab und fiel mir in den Schoß   – die Abdeckkappe eines Straßenhydranten. Beverley sah, dass ich die Kappe verdutzt betrachtete, und zuckte entschuldigend die Schultern.
    »Was genau hast du getan?«, fragte ich.
    »Bin nicht sicher«, sagte sie. »Das hab ich nämlich vorher noch nie ausprobiert.«
    Der Rauch wurde dichter, zwang uns auf die Gott sei Dank kühlen Fliesen des Ladens hinunter. Das mittlere deutsche Kind begann zu weinen. Die Mutter legte dem Jungen den Arm um die Schultern und zog ihn eng an sich. Das jüngere Mädchen schien erstaunlich gelassen zu bleiben. Ihre blauen Augen waren unverwandt auf mein Gesicht gerichtet. Der Vater war unruhig, fragte sich, ob er nicht aufstehen und etwas Heldenhaftes tun solle   – so sinnlos das auch sein würde. Ich wusste genau, wie er sich fühlte. Die letzte Fensterscheibe barst, die Scherben rieselten mir über den Rücken. Ich atmete Rauch ein, hustete, atmete noch mehr Rauch ein. Bekam nicht mehr genug Luft. Und mir wurde klar, das war es. Ich würde sterben.
    Beverley begann zu lachen.
    Und auf einmal ist es ein heller, heißer Sonntagmorgen unter wunderbar blauem Himmel, der Geruch von Plastik und Staub liegt in der Luft, denn das Planschbecken wird aus dem Gartenschuppen geholt, und die Kinder in ihren Badeanzügen oder in Unterhosen hüpfen

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