Die Fluesse von London - Roman
rauchte.
Meine Mutter hatte Groundnut-Hühnchen und ein halbes Kilo Basmatireis auf dem Herd bereitgestellt. Ich schob beides in die Mikrowelle und fragte meinen Vater, ob er einen Kaffee wolle. Er wollte, also bereitete ich zwei Tassen aus einer Großhändlerpackung Nescafé. Ich goss einen Zentimeter hoch Kondensmilch hinein, um den Geschmack zu überdecken.
Er sah gut aus, mein Vater, und das hieß, dass er irgendwann am Vormittag bereits seine »Medizin« genommen hatte. In den Glanzzeiten seiner Karriere hatte er den Ruf, sich stets hervorragend zu kleiden, und meine Mutter achtete auch jetzt darauf, dass er immer respektabel daher kam: Khakihose, Leinenjackett über einem hellgrünen Hemd. Ich hatte das immer Kolonialherrenstil genannt und meiner Mutter sagte es offenbar zu. Auch jetzt bot er besten Kolonialstil, wie er da in dem Korbsessel in der Sonne saß. Der Sessel war fast so breit wie der ganze Balkon, es war gerade noch Platz für einen Stuhl und einen kleinen weißen Plastiktisch. Ich stellte die Tassen auf den Tisch, neben einen Pub-Aschenbecher mit dem Aufdruck Foster’s Lager und die Dose Golden-Virginia-Tabak.
An klaren Tagen hatte man von unserem Balkon aus einen herrlichen Blick über den Hinterhof und bis zu den Netzgardinen der Nachbarn gegenüber.
»Wie läuft’s in der Büttelbrigade?«, fragte mein Vater. Er nannte die Polizei immer nur »Büttelbrigade«, aber trotzdem war er zu meiner Abschlussfeier in Hendonaufgetaucht und schien ziemlich stolz auf mich gewesen zu sein.
»Nicht leicht, die Volksmassen niederzuhalten«, sagte ich. »Ständig stiften sie Unruhe und klauen Sachen.«
»Das ist der traurige Zustand der Arbeiterklasse«, nickte Dad. Er nippte am Kaffee, stellte die Tasse wieder hin und griff nach der Tabakdose. Er öffnete sie nicht, sondern ließ nur die Hände darauf ruhen.
Ich fragte, wie es Mum ging und wo sie gestern Abend gewesen seien. Es gehe ihr gut, sagte er, und sie wären auf einer Hochzeit gewesen. Er drückte sich recht nebulös aus, wer da wen geheiratet hatte, es war wohl einer meiner Cousins beteiligt, aber selbst das konnte so ziemlich alles bedeuten, vom Kind einer meiner Tanten bis hin zu einem Burschen, der eines Tages ins Haus meiner Großeltern spaziert und dann zwei Jahre lang geblieben war. In Sierra Leone dauerte eine traditionelle Hochzeit mindestens ein paar Tage, genau wie eine Beerdigung, aber als Zugeständnis an das hektische Tempo im heutigen England hatten sich die Ausgewanderten inzwischen damit abgefunden, solche Feiern an einem einzigen Tag durchzuziehen oder jedenfalls innerhalb von sechsunddreißig Stunden, allerhöchstens. Wenn man die Vorbereitungszeit nicht mitrechnete.
Als er die Musik beschrieb – zu anderen Fragen wie Essen, Kleidung und Kirche äußerte er sich nur vage –, öffnete er die Tabakdose, nahm ein Päckchen Zigarettenpapier heraus und begann mit viel Sorgfalt und Überlegung eine Zigarette zu drehen. Als er damit fertig war und das Produkt für befriedigend befand, legte er alles – Rizlas, Tabak und die Selbstgedrehte – wieder in die Dosezurück, schloss sie sorgfältig und legte sie auf den Tisch zurück. Dann griff er nach der Kaffeetasse und ich sah, dass seine Hand zitterte. Dad würde nun die Dose so lange auf dem Tisch stehen lassen, bis er es nicht mehr aushalten konnte; dann würde er sie auf seinen Schoß legen, eventuell die Selbstgedrehte noch einmal aufrollen und neu drehen, und erst wenn er es gar nicht mehr aushalten konnte, würde er das verdammte Ding endlich anzünden. Dad befand sich im Frühstadium eines Emphysems. Derselbe Arzt, der ihn auch mit dem Heroin versorgte, hatte ihm befohlen, mit dem Rauchen aufzuhören oder es wenigstens auf fünf Zigaretten täglich zu begrenzen.
»Glaubst du eigentlich an Magie?«, fragte ich.
»Hab mal Dizzy Gillespie spielen hören«, sagte er. »Zählt das auch?«
»Kann sein. Woher kommt es, dass jemand so spielen kann?«
»Bei Dizzy? Bei dem war alles Talent und verdammt harte Arbeit, aber ich kannte mal einen Saxspieler, der seinen Ansatz beim Teufel persönlich gelernt hatte und ihm dafür seine Seele verkaufte, oder so ähnlich.«
»Sag bloß nicht, dass der aus Mississippi stammte?«
»Nein, aus Catford. Schloss den Pakt mit dem Teufel in der Archer Street.«
»Und – war er gut?«
»Er war nicht schlecht«, sagte Dad. »Aber zwei Wochen später wurde der arme Bastard blind.«
»Gehörte das zum Pakt mit dem
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