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Die Fluesse von London - Roman

Die Fluesse von London - Roman

Titel: Die Fluesse von London - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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Teufel?«
    »Scheint so. Deine Mutter war jedenfalls davon überzeugt, als ich ihr davon erzählte. Sie meinte, nur ein Narr erwartet, etwas umsonst zu kriegen.«
    Das klang ganz nach Mum, einer ihrer Lieblingssprüche lautete: »Wenn es nichts kostet, ist es nichts wert.« Ihr absoluter Lieblingsspruch war allerdings: »Glaub bloß nicht, dass du jetzt zu groß bist, um eine Tracht Prügel zu kriegen.« Nicht dass sie mich jemals auch nur geohrfeigt hätte, was sie aber als erzieherische Schwäche ansah und für mein jämmerliches Abschneiden beim Abitur verantwortlich machte. Zahlreiche Cousins waren auf die Universität gewechselt und wurden mir als schlagende Beweise für die disziplinierende Wirkung physischer Gewalt vorgehalten.
    Dad nahm die Tabakdose und legte sie auf seinen Schoß. Ich nahm die Kaffeetassen und spülte sie unter dem Wasserhahn aus. Dann fielen mir das Huhn und der Reis in der Mikrowelle wieder ein. Ich brachte beides auf den Balkon, aß das Fleisch und ließ den größten Teil vom Reis übrig. Außerdem trank ich einen Liter kaltes Wasser, denn Flüssigkeitsmangel war eine normale Begleiterscheinung beim Verzehr eines Gerichtes, das meine Mutter gekocht hatte. Dann überlegte ich ernsthaft, ob ich wieder zu Bett gehen sollte. Was gab es sonst schon zu tun?
    Schließlich steckte ich den Kopf durch die Balkontür und fragte Dad, ob er noch etwas brauche. Er verneinte, öffnete die Dose, nahm die Selbstgedrehte heraus und steckte sie in den Mund. Dann zog er sein silberfarbenes Paraffin-Feuerzeug aus der Tasche und zündete die Zigarette mit derselben bewussten Feierlichkeit an, mit der er sie gedreht hatte. Als er den ersten Zug inhalierte, trat ein Ausdruck höchster Glückseligkeit auf sein Gesicht, dann begann er zu husten, ein hässlicher feuchter Hustenanfall, der so klang, als hustete er die Innenverkleidung seinerLungenflügel hoch. Mit geübter Hand drückte er die Zigarette aus und wartete, bis der Husten abgeklungen war. Dann steckte er die Selbstgedrehte wieder in den Mund und zündete sie erneut an. Ich zog mich zurück   – ich wusste, wie die Geschichte weitergehen würde.
    Ich liebe meinen Vater. Er ist ein wandelnder Warnhinweis.
    Mum verfügt über drei Festnetztelefone. Ich nahm eins und rief meine Mailbox an. Die erste Nachricht war von Dr.   Walid.
    »Peter«, sagte er. »Wollte Ihnen nur mitteilen, dass Thomas wieder bei Bewusstsein ist und nach Ihnen gefragt hat.«
     
    Die seriöse Presse nannte es »Mai-Wahnsinn«, was die ganze Sache fast so harmlos wie einen Maientanz klingen ließ, die Sensationspresse bezeichnete es als »Maiwut«, vermutlich aber nur, weil das Wort selbst in Riesenlettern gerade noch in eine Zeile passte. Im Fernsehen brachten sie ein paar interessante Aufnahmen von einigen Frauen mittleren Alters in langen Abendkleidern, die die Polizei mit Pflastersteinen bewarfen. Niemand hatte eine Ahnung, was da eigentlich passiert war, deshalb wurden die sogenannten Experten in Massen vor die Kameras geholt und durften erklären, dass die Unruhen Folge genau der sozio-ökonomisch-politischen Faktoren seien, von denen ihre erst jüngst publizierten Bücher jeweils handelten. Sie müssten jedoch auf jeden Fall als beißende Anklage irgendeiner negativen Entwicklung in der modernen Gesellschaft gewertet werden   – welcher, das erfuhr man nicht.
    In der Unfallabteilung der Uniklinik war die Polizeipräsenz sehr stark. Die Kollegen wollten entweder noch ein paar Überstunden herausschinden oder die Aussagen von Opfern der Straßenunruhen aufnehmen. Ich wollte keine Aussage machen, deshalb schnappte ich mir einen Mop und einen Eimer, schlüpfte durch den Hintereingang und gab mich als Putzmann aus. Auf den höheren Ebenen verirrte ich mich, als ich nach Dr.   Walids Arbeitszimmer suchte, stolperte aber schließlich doch in einen Korridor, der mir vage bekannt vorkam, und riss eine Tür nach der anderen auf, bis ich Nightingales Zimmer fand. Gegenüber dem letzten Mal sah er nicht viel besser aus.
    »Inspector«, sagte ich, »Sie wollten mich sprechen.«
    Er öffnete die Augen, sein Blick zuckte in meine Richtung. Ich setzte mich auf die Bettkante, damit er mich sehen konnte, ohne den Kopf bewegen zu müssen.
    »Bin angeschossen worden«, flüsterte er.
    »Ich weiß. Ich war dabei.«
    »Ist früher schon mal passiert.«
    »Ja? Wann denn?«
    »Krieg.«
    »Welcher Krieg war das?«, fragte ich.
    Nightingale verzog das Gesicht und bewegte sich ein wenig im Bett.

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