Die Fluesse von London - Roman
hätte ihn dazu bringen können, ins West End zu kommen, um sich dort den Kopf abschlagen zu lassen. Ich meine damit: Wenn dieses Etwas das Hirn einer Person besetzen kann, warum dann nicht auch das irgendeiner anderen Person? Warum nicht auch bei dir oder bei mir?«
Ich dachte an das Entsetzen in Coopertowns Gesicht, als er in seinem Haus auf mich zustürzte – und den Blutgeruch. »Ich danke dir für diesen ermutigenden Gedanken, Lesley«, sagte ich. »Er wird mir unvergesslich bleiben – vor allem spät nachts, wenn ich einschlafen will.«
Lesley schaute zu Celia Munroe hinüber, die sittsam auf der anderen Bank saß. »Sie hatte doch auch so was wie einen plötzlichen Wutanfall. Könnte es nicht sein, dass sich etwas auch in ihren Verstand eingemischt hat?«
»Aber ihr Gesicht ist nicht heruntergefallen«, wandte ich ein.
Celia Munroe bemerkte, dass wir sie anschauten, und kroch förmlich in sich hinein. »Vielleicht war Coopertown der große Klatscher«, überlegte Lesley, »und sie war nur eine Art Echo. Es könnten sich ja mehrere solcher Zwischenfälle abgespielt haben; wir waren nur zufällig gerade bei dieser Sache dabei.«
»Dann sollten wir uns mal die Polizeiberichte vornehmen und schauen, ob etwas dazu passt. Vielleicht ergibt sich ein Muster.«
»Da müssten wir aber ganz Westminster und Camden überprüfen«, sagte Lesley. »Eine ganze Menge.«
»Nicht, wenn wir uns auf tätliche Übergriffe und Ersttäter beschränken«, sagte ich. »Und außerdem wird dein Computer die meiste Arbeit machen.«
»Und was treibst du in der Zwischenzeit?«, wollte sie wissen.
»Ich lerne, Licht zu erschaffen«, sagte ich hochmütig.
Zwei Tage später rief mich Nightingale nach unten, als ich gerade aus dem Bad kam. Offenbar war die Übungsstunde ersatzlos gestrichen, und das galt leider auch fürs Frühstück. Nightingale trug seinen »Businessanzug«, einen hellbraunen Doppelreiher aus Fischgrät-Tweed mit Lederflecken an den Ellbogen. Über dem Arm hing gefaltet sein Burberry-Trenchcoat. Außerdem hielt er seinen Stock mit dem Silberknauf in der Hand – was er noch nie bei Tag getan hatte.
»Wir fahren nach Purley«, verkündete er und warf mir zu meiner Überraschung den Schlüssel für den Jaguar zu.
»Was ist in Purley?«, fragte ich.
»Sage ich Ihnen nicht. Es ist mir lieber, wenn Sie sich einen unvoreingenommenen Eindruck verschaffen.«
»Ist das Polizeiarbeit oder ein Lehrlingseinsatz?«, wollte ich wissen.
»Beides.«
Ich setzte mich ans Steuer des Jaguar, drehte den Zündschlüssel und genoss einen Augenblick lang den kehligen Sound des Motors. Für die guten Dinge im Leben sollte man sich immer ein wenig Zeit nehmen.
»Nur keine Eile«, kommentierte Nightingale prompt.
Der Wagen ließ sich nicht so leicht handhaben, wie ich erwartet hatte, aber der Motor reagierte auf das Gaspedalin einer Art und Weise, die mich alle anderen Schwächen vergessen ließ, darunter auch das leichte Übersteuern und die Heizung, die mir in regelmäßigen Abständen einen Stoß heiße, stickige Luft ins Gesicht blies.
Ich fuhr über die Lambeth Bridge. Der Werktagsverkehr ist in London immer zäh; im Stop-and-Go zuckelten wir durch Brixton und nach Streatham. Danach befanden wir uns bereits in den Vorortvierteln Südlondons, wo riesige Bezirke mit zweistöckigen Reihenhäusern bebaut waren, zwischen denen sich immergleiche Einkaufsstraßen erstreckten. Gelegentlich kamen wir an ungleichmäßigen grünen Rechtecken vorbei, den Überbleibseln alter Dorfwiesen, allerdings waren die Dörfer längst wie Schimmelflocken in einer Petrischale zusammengewachsen.
Die A23 wurde zum Purley Way; wir fuhren an den beiden hohen Kaminen des alten Kraftwerks vorbei, die von Ikea als riesige Werbetürme für sein Firmenlogo genutzt werden. Gleich würden wir nach Purley kommen, dem berühmten Purley, wenn Sie wissen, was ich meine?
Ein roter V W-Transporter mit der Aufschrift der Londoner Feuerwehr wartete auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof Purley auf uns. Als wir daneben anhielten, wurde die Schiebetür aufgestoßen; ein großer Mann stieg aus und hob grüßend die Hand. Er war etwa Mitte vierzig, hatte eine gebrochene Nase und trug sein braunes Haar in einem Kurzschnitt. Nightingale stellte ihn mir als Frank Caffrey vor.
»Frank arbeitet bei der New-Cross-Feuerwache und ist unser Verbindungsmann bei der Feuerwehr.«
»Verbindungsmann?«, fragte ich.
»Genau«, antwortete Frank und hielt mir eine Leinentasche
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