Die Fluesse von London - Roman
ließ.
Natürlich, der Keller, dachte ich.
»Dann wollen wir mal«, sagte Nightingale, »schließlich werden wir nicht jünger.«
Das fand ich auch, deshalb hatte ich absolut nichts dagegen, ihn vorangehen zu lassen.
Schon auf den ersten Stufen lief mir ein Kälteschauer über den Rücken, es wurde richtig kalt, als würden wirin eine Tiefkühltruhe steigen, aber mir fiel auf, dass sich keine Atemwolken bildeten. Ich schob die Hand unter die Achsel, aber auch dort war es nicht wärmer. Die Kälte war nicht physisch spürbar, also musste es sich um eine Art von
Vestigium
handeln.
Nightingale blieb stehen, verlagerte das Gewicht und rollte die Schultern wie ein Boxer, der sich auf den Kampf vorbereitet.
»Spüren Sie es?«, fragte er.
»Ja«, flüsterte ich. »Was ist das?«
»
Tactus disvitae
«, erklärte er. »Der Geruch des Anti-Lebens – sie müssen hier unten sein.«
Er sagte nicht, was, und ich fragte auch nicht. Wir stiegen die Treppe vollends hinunter.
Der Keller war klein und schmal. Zu meinem Erstaunen wurde er von einer Neonröhre recht gut ausgeleuchtet, die fast halb so lang wie der gesamte Kellerraum war. An einer Wand waren Regale befestigt, darunter hatte jemand optimistisch eine Werkbank aufgestellt. In die Mitte des Raums hatte man eine alte Matratze gelegt; darauf lagen zwei Vampire. Sie sahen wie Obdachlose aus, wie altmodische Landstreicher, die mehrere Schichten zerschlissener alter Klamotten übereinander trugen und einen aus düsteren Hauseingängen anknurrten. Das Kältegefühl wurde immer stärker, je mehr wir uns den Vampiren näherten. Sie schienen zu schlafen, aber ich hörte keine Atemgeräusche und nahm auch nicht den typischen Mief wahr, den ein schlafender Mensch in einem engen Raum verursachen würde.
Nightingale reichte mir ein gerahmtes Familienfoto, das er offenbar vom Kaminsims im Wohnzimmer mitgenommenhatte, und nahm seinen Stock in die rechte Hand.
»Ich möchte, dass Sie nun Folgendes tun«, sagte er. »Erstens müssen Sie ihre Identität feststellen. Zweitens müssen Sie ihren Puls fühlen. Schaffen Sie das?«
»Und was machen Sie währenddessen?«, fragte ich vorwurfsvoll.
»Ich gebe Ihnen Deckung. Falls sie aufwachen.«
Darüber musste ich erst mal kurz nachdenken. »Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sie aufwachen?«
»Es ist schon vorgekommen.«
»Wie oft?«, wollte ich wissen.
»Die Wahrscheinlichkeit steigt, je länger wir darüber diskutieren.«
Ich kniete mich neben der Matratze hin und zog einem der Vampire vorsichtig den Kragen zurück. Ich achtete darauf, seine Haut nicht zu berühren. Er hatte das Gesicht eines Mannes mittleren Alters, aber mit weißer Haut, bleichen Lippen und unnatürlich glatten Wangen. Ich verglich sein Gesicht mit dem Foto, und obwohl seine Züge mit denen des lächelnden Vaters auf dem Bild übereinstimmten, konnte ich doch keine wirkliche Ähnlichkeit erkennen. Ich beugte mich ein wenig weiter über die Matratze zu dem anderen Körper. Eine Frau – ihr Gesicht passte genau zu dem der Mutter auf dem Foto. Zum Glück hatte Nightingale ein Foto gewählt, auf dem die Kinder nicht abgebildet waren. Ich streckte die Hand aus, um ihren Puls zu fühlen, und zögerte.
»In diesen Körpern lebt nichts«, sagte Nightingale. »Nicht mal Bakterien.«
Vorsichtig drückte ich meine Finger an den Hals desMannes und fühlte den Puls. Seine Haut war kühl; ein Puls war nicht zu spüren. Dasselbe bei der Frau. Ich stand auf und trat zurück. »Nichts«, sagte ich.
»Nach oben«, befahl Nightingale. »Schnell.«
Es ist nicht so, dass ich die Treppe hinaufgerannt wäre, aber ich trödelte auch nicht gerade. Nightingale folgte mir dicht auf den Fersen, halb rückwärts gewandt, den Stock kampfbereit in der Hand. »Holen Sie die Granaten raus«, befahl er.
Ich nahm die Granaten aus der Leinentasche. Nightingale nahm eine und zeigte mir, was ich zu tun hatte. Meine Hand zitterte ein wenig, und der Splint ließ sich erstaunlich schwer herausziehen – vermutlich ist das bei einer Granate eine zusätzliche Sicherung. Nightingale zog den Splint seiner Granate und deutete die Treppe hinunter.
»Auf drei. Und werfen Sie die Granate wirklich ganz nach unten.« Er zählte bis drei, und wir warfen die Granaten die Treppe hinunter. Ich schaute wie ein Einfaltspinsel zu, als sie die untersten Stufen hinunterpolterten, dann packte mich Nightingale am Arm und riss mich weg.
Wir waren noch nicht einmal an der Haustür, als der Boden unter
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