Die Fluesse von London - Roman
Tür. »Zwei Stunden, dann kommen Sie ins Arbeitszimmer zu Ihrer Lateinstunde.«
Ich wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann öffnete ich die Hand und flüsterte: »
Lux
!«
Dieses Mal strahlte die Kugel nur noch sanftes weißes Licht und nicht mehr Wärme aus als ein sonniger Tag.
Verdammt,
dachte ich,
ich kann zaubern.
6
Die Remise
Tagsüber, wenn ich nicht gerade im Labor war oder lernte oder unterwegs war, gehörte es zu meinen Pflichten, auf die Türglocke zu achten und gegebenenfalls die Haustür zu öffnen. Allerdings klingelte es äußerst selten. Als es zum ersten Mal geschah, brauchte ich daher eine Weile, um das Geräusch überhaupt zu identifizieren.
Wie sich herausstellte, kam uns Beverley Brook besuchen. Sie trug eine cyanblaue Steppjacke und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen.
»Das dauert aber«, sagte sie vorwurfsvoll. »Verdammt kalt hier draußen!«
Ich lud sie ein, näher zu treten, aber sie schaute mich schräg an und erklärte, das wolle sie lieber nicht tun.
»Mum sagt, ich soll nicht ins Haus gehen – sie sagt, für unsereins ist das abträglich.«
»Abträglich?«
»Es gibt hier magische Kraftfelder und solches Zeug«, sagte Beverley.
Das ergab einen gewissen Sinn, dachte ich, und erklärte auch, warum sich Nightingale wegen der Sicherheit keine großen Gedanken machte.
»Warum bist du dann da?«, fragte ich.
»Na«, antwortete Beverley, »wenn sich eine Mamaflussgöttin und ein Papaflussgott sehr lieben …«
»Irre witzig.«
»Mum sagt, dass am University College Hospital was Seltsames abgeht und dass du mal nachschauen solltest.«
»Was Seltsames?«
»Sie sagt, es ist in den Nachrichten.«
»Wir haben keinen Fernseher«, sagte ich.
»Nicht mal Free TV?«
»Überhaupt gar keinen.«
»Krass«, sagte Beverley. »Kommst du jetzt oder nicht?«
»Ich rede erst mal mit dem Inspector.«
Ich fand Nightingale in der Bibliothek, wo er sich irgendwelche Notizen machte. Ich hatte den starken Verdacht, dass es sich um meine Lateinhausaufgaben für morgen handelte. Ich erzählte ihm von Beverley, und er sagte, ich solle der Sache nachgehen. Als ich wieder hinunterkam, hatte sich Beverley immerhin in die Eingangshalle gewagt, stand aber so nahe wie möglich an der Schwelle. Erstaunt sah ich, dass Molly dicht bei ihr stand – die beiden steckten die Köpfe zusammen und tauschten flüsternd irgendwelche Vertraulichkeiten aus. Als sie mich kommen hörten, fuhren sie verdächtig schnell auseinander – ich spürte förmlich, wie meine Ohren heiß wurden. Molly huschte an mir vorbei und verschwand in den Tiefen des Hauses.
»Nehmen wir den Jag?«, erkundigte sich Beverley, als ich meinen Mantel anzog.
»Wieso wir? Willst du etwa mitkommen?«
»Ich muss«, sagte sie spitz. »Mum hat gesagt, ich soll moderieren.«
»Was moderieren?«
»Die Frau, die uns die Sache gemeldet hat, ist eine Akolythin. Sie gehört zu unseren Gefolgsleuten«, erklärte Beverley. »Sie redet nicht mit dir, wenn ich nicht dabei bin.«
»Okay«, sagte ich. »Gehen wir.«
»Und – nehmen wir nun den Jag oder nicht?«
»Red keinen Unsinn. Zur Uniklinik können wir von hier aus locker zu Fuß gehen.«
»Ach, Mann. Ich wollte so gern mal mit dem Jag fahren.«
Also nahmen wir den Jag und gerieten prompt in einen Verkehrsstau auf der Euston Road und mussten danach noch mal zwanzig Minuten nach einer Parklücke suchen. Nach meiner Schätzung hatten wir damit gut zweimal so lange gebraucht wie zu Fuß.
Das Universitätsklinikum, allgemein unter der Abkürzung UCH bekannt, nimmt zwei ganze Blocks zwischen der Tottenham Court Road und der Gower Street ein. Es war schon im 19. Jahrhundert gegründet worden. Sein Ruhm beruhte darauf, dass es dem Londoner University College als Lehrkrankenhaus diente. Außerdem erblickte dort einst auch ein gewisser Peter Grant, Zauberlehrling, das Licht der Welt. Seit jenem denkwürdigen Tag Mitte der achtziger Jahre hatte man allerdings die Hälfte des Komplexes zu einem blau-weiß glitzernden Turm umgebaut, so dass es jetzt wie ein Stück Brasilia aussah, das mitten im viktorianischen London eine Bruchlandung hingelegt hatte.
Der Eingangsbereich war eine riesige, aseptisch saubere Halle aus Unmengen von Glas und weißer Farbe, in dernur die zahlreichen Patienten, die dort herumschlurften, ein wenig störend wirkten. Als Polizist verbringt man eine Menge Zeit in der Notaufnahme, weil man dort Leute befragen muss, woher sie ihre
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