Die Flußpiraten des Mississippi (German Edition)
etwas verzogen hätte.«
»Geht nicht!« rief Bill ruhig dagegen. – »Wir können nicht bis an hundert Schritt von der Insel selbst kommen. – Der Sand läuft hier ein tüchtiges Stück in den Strom hinein. Nehmt einmal das Senkblei!«
Edgeworth nahm die Leine, an welcher das Blei befestigt war, und warf es über Bord. – Bill hatte recht; der Strom war hier höchstens acht Fuß tief, und sie durften allerdings nicht wagen, näher heranzufahren. Die Strömung lag aber – dem ›Navigator‹ nach – von hier an rechts an der Insel vorüber dem Arkansasstaat zu und drängte erst von dort aus, etwa vier bis fünf Meilen unterhalb, der Mitte des Stromes wieder zu. Nr. Einundsechzig lag, wie schon früher erwähnt, dreizehn englische Meilen unter der Weideninsel.
Durch den Nebel noch beschleunigt, fing es jetzt recht ernstlich an dunkel zu werden, und der alte Farmer schüttelte gar bedenklich den Kopf, als selbst die letzten bis dahin fast noch immer sichtbar gebliebenen Wipfel der nächsten Uferbäume verschwanden. Sie trieben ja auch nun, fast auf gut Glück und ohne den leisesten Halt von irgendeiner Seite aus, stromab und, wie er recht gut wußte, zwischen unzähligen Gefahren hin. Er stand vorn auf dem Bug und lauschte auch dem unbedeutendsten Geräusch, ob er nicht das Brechen der Wasser an irgendeiner Drift oder das Wehen der vielleicht nahen Uferbäume hören könne. Aber alles lag ruhig und still; kein Laut ließ sich vernehmen; die ganze Natur schien wie ausgestorben, und selbst der Wind, der noch früher den Nebel einigermaßen zerteilt hatte, mußte gänzlich eingeschlafen sein; denn die Dünste lagen wie ein graues Leichentuch fest und unbeweglich auf dem Strome, und müde und träumend schwamm das schläfrige Boot auf seiner mattblinkenden Fläche.
Eine halbe Stunde mochte auf diese Weise verflossen sein, und Edgeworth war oft ungeduldig zum Steuermann gegangen, um mit ihm eine mögliche Gefahr zu bereden, dann wieder mit raschen Schritten auf dem runden Verdeck hin und her gelaufen – unschlüssig, was er tun, ob er seinem Lotsen folgen oder selber handeln solle, wie er es für gut finde, das heißt, augenblicklich zum nächsten rechten Ufer rudern und dort anlegen, bis sich der Nebel verziehen möchte. Blackfoot hatte sich indessen fast immer an seiner Seite gehalten, um jeden möglicherweise in ihm aufsteigenden Verdacht abzulenken. Jetzt aber, da sie sich mehr und mehr dem verhängnisvollen Punkt näherten, gab es noch so manches, was er mit dem Verbündeten zu besprechen wünschte, und er zog sich nach und nach dem Steuer wieder zu, wobei er zuerst eine Zeitlang in Bills Nähe auf- und abging, ohne ein Wort an diesen zu richten. Endlich tat er einige laute Fragen über den Fluß in dieser Gegend und knüpfte zuletzt ein leiseres, dem Ohr des entfernter Stehenden unverständliches Gespräch mit dem Steuermann an.
Mrs. Everett hatte sich erst in letzter Zeit in ihr hergerichtetes Zelt zurückgezogen, oft aber den Vorhang gelüftet, der es verschloß, und jenen Teil des Verdecks mit ihren Augen überflogen, auf dem sich Mr. Edgeworth befand. Jetzt, da sie ihn zum ersten Male auf kurze Minuten allein und ungestört sah, verließ sie ihr Lager wieder und schritt, mit flüchtigem Blick sich überzeugend, daß keiner der übrigen Männer in der Nähe sei, auf ihn zu.
»Ach, Madame«, sagte der alte Mann, als er ihren Tritt hörte und sich nach ihr umwandte, »Sie sind auch noch munter? Ja, ja, man hat keine Ruhe, wenn man nicht weiß, wo man ist, und Gefahren jeden Augenblick erwarten kann, ohne imstande zu sein, sie zu sehen. Geht mir's doch selbst nicht besser.«
»Ich fürchte nicht die Gefahren, die uns der Fluß selber entgegenstellt«, flüsterte jetzt Mrs. Everett rasch und sah sich scheu nach den Männern am Steuer um. »Ihnen – vielleicht uns allen droht etwas Schlimmeres, und gebe nur Gott, daß es noch Zeit ist, es zu vermeiden.«
»Was haben Sie, Mrs. Everett«, sagte Edgeworth erstaunt, »Sie scheinen ja ganz aufgeregt; was fürchten Sie?«
»Alles«, sagte die Frau, noch mit unterdrückter Stimme. »Alles, sobald Sie nicht der Treue Ihrer eigenen Leute gewiß sind.«
»Aber ich begreife nicht –«
»Wo haben Sie Ihre Büchse?«
»Unten an meinem Bett.«
»Gehen Sie hinab und untersuchen Sie das Schloß!«
»Das Schloß?«
»Zögern Sie keinen Augenblick; der nächste kann unser aller Verderben besiegeln.«
»Aber was fürchten Sie denn? Was ist mit dem Schloß meiner
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