Die folgende Geschichte
war, von fünf Genevern beflügelt, nach Hause geschwebt und hatte meine drei Dosen geöffnet: Campbel’s Mock Turtle, Heinz’ weiße Bohnen in Tomatensoße und Heinz’ Frankfurter. Das Gefühl beim Dosenöffnen, das leise »Tok«, wenn man den Öffner ins Blech drückt und schon etwas vom Inhalt riechen kann, und dann das Schneiden selbst entlang dem runden Rand und das unbeschreibliche Geräusch, das dazugehört – es ist eine der sinnlichsten Erfahrungen, die ich kenne, wenngleich das in meinem Fall natürlich nicht viel besagen will. Ich esse auf einem Küchenstuhl am Küchentisch, gegenüber der Reproduktion eines Bildes, das Prithinos im sechsten Jahrhundert vor Christus (der so anmaßend war, auch die Jahrhunderte vor sich in Beschlag zu nehmen) auf den Boden einer Schale gemalt hat, Peleus im Kampf mit Thetis. Ich habe stets eine Schwäche für die Nereide Thetis gehabt, nicht nur, weil sie die Mutter von Achilles war, sondern vor allem, weil sie als Kind der Götter den sterblichen Peleus nicht heiraten wollte. Recht hatte sie. Wenn man selbst unsterblich ist, muß der Gestank, der sterbliche Wesen umgibt, unerträglich sein. Sie versuchte alles mögliche, um diesem künftig Toten zu entrinnen, verwandelte sich nacheinander in Feuer, Wasser, einen Löwen und eine Schlange. Das ist der Unterschied zwischen Göttern und Menschen. Götter können sich selbst verwandeln, Menschen können nur verwandelt werden. Ich liebe meine Schale, die beiden Kämpfenden sehen sich nicht an, man sieht von beiden nur ein Auge, ein quergestelltes Loch, das nirgendwohin gerichtet zu sein scheint. Der wütende Löwe steht neben ihrer aberwitzig langen Hand, die Schlange windet sich um Peleus’ Knöchel, und gleichzeitig scheint alles stillzustehen, es ist ein totenstiller Kampf. Ich betrachte ihn die ganze Zeit, während ich esse, denn ich erlaube mir nicht, beim Essen zu lesen. Und ich genieße, auch wenn niemand das glaubt. Katzen essen auch jeden Tag das gleiche, ebenso die Löwen im Zoo, und ich habe noch nie eine Beschwerde von ihnen gehört. Piccalilli auf die Bohnen, Mostert auf die Frankfurter – apropos, das erinnert mich daran, daß ich Mussert 1 heiße. Herman Mussert. Nicht schön, Mostert wäre mir lieber gewesen, aber das läßt sich nicht ändern. Und meine Stimme ist laut genug, jedes blöde Gelächter im Keim zu ersticken.
Nach meinem Mahl habe ich abgewaschen und mich dann mit einer Tasse Nescafé in den Sessel gesetzt. Lampe an, jetzt finden die Nachbarn ihren Heimathafen wieder. Erst habe ich ein wenig Tacitus gelesen, um den Genever kleinzukriegen. Das klappt immer, darauf kann man Gift nehmen. Eine Sprache wie polierter Marmor, das vertreibt die bösen Dünste. Danach habe ich etwas über Java gelesen, denn seit meiner Entlassung aus dem Schuldienst schreibe ich Reiseführer, eine schwachsinnige Tätigkeit, mit der ich mein Brot verdiene, aber längst nicht so stupide wie all diese sogenannten literarischen Reiseschriftsteller, die ihre kostbare Seele unbedingt über die Landschaften der ganzen Welt ergießen müssen, um brave Bürger in sprachloses Erstaunen zu versetzen. Als nächstes las ich das Handelsblad , in dem genau eine Sache stand, die sich auszuschneiden und mit ins Bett zu nehmen lohnte, und das war ein Foto. Der Rest war niederländische Politik, und man muß schon an Hirnerweichung leiden, um sich damit zu befassen. Dann noch einen Artikel über die Schuldenlast – die habe ich selbst – und über Korruption in der Dritten Welt, doch das hatte ich gerade viel besser bei Tacitus gelesen, bitte sehr: Buch II, Kapitel LXXXVI, über Primus Antonius (tempore Neronis falsi damnatus 2 ). Heutzutage kann niemand mehr schreiben, ich auch nicht, aber ich will es auch nicht, wenngleich jeder vierte Niederländer einen Reiseführer von Dr. Strabo (Mussert fand der Verleger unmöglich) im Haus hat. »Nachdem wir den schönen Garten des Saihoji-Tempels verlassen haben, kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück …« In dem Stil, und dann noch zum größten Teil abgeschrieben, wie alle Kochbücher und Reiseführer. Der Mensch muß leben, aber wenn ich nächstes Jahr meine Pension bekomme, ist Schluß damit, dann arbeite ich an meiner Ovid-Übersetzung weiter. »Und von Achill, einst so groß, bleibt nur eine karge Handvoll«, so weit war ich gestern abend gekommen. Metamorphosen , Buch XII, um genau zu sein, und dann wurden meine Augenlider schwer. Das Versmaß stimmte nicht, und nie, das war mir
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