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Die folgende Geschichte

Die folgende Geschichte

Titel: Die folgende Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Bei mir fließen die Tränen ausschließlich bei Kitsch, wenn Er Sie zum ersten Mal in Technicolor erblickt, bei allem, was der Schmalzplebs erdacht hat, und der entsprechenden Musik, pervertierter Honig, dazu bestimmt, der Seele keinerlei Ausweg zu gönnen, die Idee der Musik gegen sich selbst gewendet. Diese Musik ertönte jetzt, und natürlich zerfloß ich in Tränen. Churchill heulte, wie es heißt, bei allem, wahrscheinlich aber nicht, als er den Befehl zur Bombardierung Dresdens erteilte. Da schwebte der Voyager, eine unsinnige, von Menschenhand geschaffene Maschine, eine glänzende Spinne im leeren Raum, er flog dicht an den leblosen Planeten vorbei, auf denen es noch nie Trauer gegeben hat, es sei denn die Trauer von Felsen, die unter einer unerträglichen Schicht Eis leiden, und ich heulte. Der Reisende selbst entschwebte für alle Zeiten, machte hin und wieder »Bliep« und fotografierte all diese erkalteten oder glühenden, jedoch leblosen Kugeln, die zusammen mit der Kugel, auf der wir leben müssen, um eine glühende Gasblase kreisen, und die Lautsprecher, die im Dunkeln unsichtbar rings um uns standen, überschütteten uns mit der Musik, die verzweifelt versuchte, die Stille, die zu diesem einsamen metallenen Reisenden gehörte, zu verfälschen, und im selben Augenblick begann, erst noch halb mit der Musik verschmolzen, danach fast wie ein Soloinstrument, eine körperlose Stimme auf uns einzureden. In neunzigtausend Jahren, sagte die Stimme, werde der Reisende die Grenzen unseres Milchstraßensystems erreicht haben. Die Stimme pausierte, die Musik schwoll an wie eine vergiftete Brandung und verstummte dann wieder, so daß die Stimme ihren tödlichen Schuß abfeuern konnte.

    »And then, maybe, we will know the answer to those eternal questions.«
    Die Humanoiden im Saal krochen in sich zusammen.
    »Is there anyone out there?«
    Um mich herum war es jetzt ebenso still wie in den leeren Straßen des Universums, durch die der Reisende, in irgendeinem kosmischen Licht aufglänzend, lautlos flog, erst im fünften seiner neunzigtausend Jahre. Neunzigtausend! Die Asche der Asche unserer Asche würde unsere Herkunft lange vor dieser Zeit verleugnet haben. Es hatte uns nie gegeben! Die Musik schwoll an, Eiter tropfte mir aus den Augen. Das waren vielleicht Metamorphosen! Die Stimme schoß zum letzten Mal.
    »Are we all alone?«
    Plötzlich wußte ich es. Diese Stimme besaß keine Kehle. Es war die Stimme, die bereits zu unserer Abwesenheit gehörte, so wie diese Musik die Leugnung all dessen war, was jemals in der Harmonielehre des Pythagoras ausgedrückt worden war. Inmitten der anderen verließ ich den Saal, entrückt und erbärmlich zugleich. Im Spiegel des Toilettenraums betrachtete ich meine lächerlich roten Augen und wußte, daß ich nicht über meine Sterblichkeit geheult hatte, sondern über die Verfälschung, den Betrug. Wenn ich zu Hause gewesen wäre, hätte ich mit einem Madrigal von Gesualdo (einem Mörder, der die reinste Musik der Welt geschrieben hat) die Ordnung wiederhergestellt, doch hier mußte ich mich mit einem doppelten Bourbon begnügen. In der Ferne lag, erhaben und kolonial, das Weiße Haus, in dem zweifellos in diesem Moment etwas Schreckliches vorbereitet wurde.
    Und jetzt, dieses unmögliche Wort, das uns immer den Teppich unter den Füßen wegzieht, lag ich in einem Zimmer in Lissabon, die Augen geschlossen, und dachte an jenes andere Jetzt vom Abend zuvor (wenn es der Abend zuvor gewesen war), an dem ich mit geöffneten Augen dagelegen und auf dieses Foto geschaut hatte. Sowohl der mechanische Reisende als auch ich waren inzwischen weitergereist, ich hatte meine dämlichen Reiseführer geschrieben, er hatte in einem fort Fotos gemacht, und jetzt hielt ich sechs davon, zu einem einzigen zusammengefügt, in der Hand. Venus, Erde, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, mir alle bestens bekannt aus Ovid, die nun zu mickrigen Lichtpünktchen auf grobkörnigen, fahlen, befleckten Leichenhemden metamorphosiert waren, die zweifellos den Raum darstellen sollten. »Voyager verläßt gerade das Sonnensystem«, stand darunter. Jawohl! Hinein in die weite Welt! Uns allein lassen! Und dann noch schnell ein Foto schicken, das genausogut ein Bild von einem der anderen Milliarden Sterne aus dem hintersten Winkel des Weltalls sein könnte, um uns unsere beschämende Nichtigkeit so richtig vor Augen zu führen, und das, wo wir doch wohlgemerkt diesen Fotografen nicht nur selber gemacht, sondern auch noch

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