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Die folgende Geschichte

Die folgende Geschichte

Titel: Die folgende Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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klar, nie würde ich die geschliffene Einfachheit von »et de tam magno restat Achille nescio quid parvum, quod non bene compleat urnam« erreichen, gerade genug, um eine Urne zu füllen … Nie wird es wieder eine Sprache wie Latein geben, nie mehr werden Präzision und Schönheit und Ausdruck eine solche Einheit bilden. Unsere Sprachen haben allesamt zu viele Wörter, man sehe sich nur die zweisprachigen Ausgaben an, links die wenigen, gemessenen Worte, die gemeißelten Zeilen, rechts die volle Seite, der Verkehrsstau, das Wortgedränge, das unübersichtliche Gebrabbel. Niemand wird meine Übersetzung je sehen, wenn ich ein Grab bekäme, nähme ich sie mit. Ich will nicht zu den anderen Pfuschern gehören.
    Ich zog mich aus und ging zu Bett und nahm das Foto mit, das ich aus dem Handelsblad ausgeschnitten hatte, um einfach ein wenig darüber nachzudenken. Es war nicht von einem Menschen gemacht worden, dieses Foto, sondern von einem Ding, einem Raumfahrzeug, dem Voyager, aus sechs Milliarden Kilometer Entfernung von der Erde, von der er kam. So etwas sagt mir an sich nicht so viel, meine Vergänglichkeit nimmt schließlich nicht in dem Maße zu, in dem ich winziger werde. Aber ich hatte ein besonderes Verhältnis zu diesem Reisenden, weil ich das Gefühl hatte, ich sei selbst mit ihm unterwegs gewesen. Wer will, kann das in Dr. Strabo’s Reiseführer für Nordamerika nachschlagen, wenngleich sich meine kitschige Rührung an jenem Tag darin natürlich nicht findet, ich werde mich hüten. Ich hatte das Smithsonian Institute in Washington besucht, da der Verleger gesagt hatte, Jugendliche würden sich dafür interessieren. Allein schon das Wort Jugendliche stößt mir unangenehm auf, aber ich bin gehorsam. Technik sagt mir nicht viel, das ist eine stetige Erweiterung des Körpers mit unvorhersehbaren Konsequenzen, man findet wahrscheinlich erst dann etwas daran, wenn man selbst schon stellenweise aus Aluminium und Plastik besteht und nicht mehr unbedingt an den freien Willen glaubt. Doch manche Apparate haben ihre eigene Schönheit, wenngleich ich das nie öffentlich zugeben würde, und so spazierte ich also doch recht zufrieden zwischen den aufgehängten kleinen Flugzeugen aus der modernen Vorgeschichte und den versengten Raumkapseln umher, die den Beginn unseres Mutantentums so überzeugend demonstrieren. Natürlich ist der Raum unsere Bestimmung, das weiß ich auch, schließlich lebe ich da. Doch die Aufregung großer Reisen werde ich nicht mehr erleben, ich bin derjenige, der weinend am Amsterdamer Schreierstoren 3 zurückbleibt, einer von früher, aus der Zeit vor Armstrongs großem, geriffeltem Fußabdruck auf der Haut des Mondes. Den bekam ich an jenem Nachmittag auch noch zu sehen, denn ohne groß nachzudenken war ich in eine Art Theater gegangen, in dem Filme über Raumfahrt gezeigt wurden. Ich landete in einem jener amerikanischen Sessel, die sich wie eine Gebärmutter um einen schmiegen, und trat meine Reise durch den Raum an, und fast im selben Augenblick schossen mir die Tränen in die Augen. Darüber fand sich später kein Wort bei Dr. Strabo. Ergriffenheit sollte durch Kunst ausgelöst werden, und hier wurde ich mit der Wirklichkeit betrogen, irgendein technischer Hochstapler hatte es mit Hilfe optischer Tricks geschafft, daß der Mondstaub zu unseren Füßen lag, als stünden wir selbst auf dem Mond und könnten auf ihm herumspazieren. In der Ferne schien (!) die unwirkliche Erde, auf dieser dünnen, versilberten, schwebenden Scheibe konnten unmöglich ein Homer oder ein Ovid vom Schicksal der Götter und Menschen berichtet haben. Ich roch den toten Staub zu meinen Füßen, ich sah die Wölkchen Mondpulver, die aufwirbelten und sich wieder legten, meine Existenz wurde mir genommen, ohne daß ich eine andere an ihrer Statt erhielt. Ob es den menschlichen Wesen rings um mich auch so erging, weiß ich nicht. Es war totenstill, wir waren auf dem Mond und würden nie dorthin gelangen können, gleich würden wir im grellen Tageslicht hinaustreten auf eine Scheibe, so groß wie ein Gulden, ein sich bewegender Gegenstand, der irgendwo in den schwarzen Vorhängen des Raums hing und an nichts haftete. Doch es kam noch schlimmer. Ich verwalte – so empfinde ich es zumindest – die schönsten Texte, die die Welt hervorgebracht hat, aber ich habe noch nie eine einzige Träne über eine Zeile oder ein Bild vergießen können, genausowenig wie ich je über die Dinge weinen konnte, über die man gemeinhin weint.

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