Die folgende Geschichte
könnten oder für meine Kinder, und ich sage nur, das einzige, was meine Freunde tun könnten, ist, für sich selbst zu sorgen, das sei das Wichtigste, und als Kriton mich dann fragt, wie ich bestattet werden wolle, necke ich ihn und sage, er solle nur versuchen, mich zu fassen zu kriegen, und meine natürlich meine Seele, dieses flüchtige Ding, und halte ihm vor, daß er mich nur als künftigen Leichnam sehen wolle, daß er nicht an meine unsichtbare Reise glaube, nicht an meine Unsterblichkeit, nur an das, was ich zurückließe, den Körper, den er sieht. Und dann gehe ich baden, während ich dort in der Ecke des Klassenraums stehenbleibe, und Kriton geht mit mir, während sie dort in ihrer Bank sitzenbleibt, und ich sehe, wie sie mich alle anschauen, und dann komme ich zurück und spreche mit dem Mann, der mir sagt, es sei Zeit, das Gift zu trinken. Er, dieser Mann, weiß, daß ich nicht toben und wüten werde wie die anderen Verurteilten, denen er den tödlichen Becher reichen muß, und dann will Kriton, daß ich erst noch etwas esse, er sagt, daß die Sonne noch auf den Bergen scheine, daß sie noch nicht ganz untergegangen sei, und dann schauen wir alle zu den Bergen auf dem Schulhof, und wir sehen es, eine rote Glut über den blauen Bergen. Aber ich weigere mich. Ich weiß, daß es andere gibt, die bis zum Schluß warten, doch das will ich nicht. »Nein, Kriton«, sage ich, »was würde ich damit gewinnen, wenn ich das Gift etwas später tränke, wenn ich wie ein jammerndes Kind am Leben hinge?« Und dann gibt Kriton das Zeichen, und der Mann kommt mit seinem Becher, und ich frage, was ich tun muß, und er sagt: »Nichts, nur austrinken und ein wenig herumgehen, dann werden die Beine schwer, und dann legst du dich hin. Es wirkt von allein.« Und er reicht mir den Becher, und ich trinke ihn langsam aus, und als ich diesen nicht existierenden Becher bis zur Neige geleert habe und ihn dann dem unsichtbaren Diener zurückgebe, sehe ich in die Augen Kritons, die die Augen d’Indias sind, und dann breche ich ab, wir machen kein Grand Guignol daraus. Ich lege mich nicht auf den Boden, ich lasse den Diener nicht meine Beine betasten, ob noch Gefühl in ihnen ist, ich bleibe stehen, wo ich stehe, und sterbe und lese die letzten Zeilen vor, in denen eine große Kälte über mich kommt und ich noch etwas sage von einem Hahn, den wir Asklepios schuldig sind, und das tue ich, um zu zeigen, daß ich in der Welt sterbe, der Welt der Wirklichkeit. Und dann ist es vorbei. Das Tuch wird von Sokrates’ Gesicht genommen, die Augen sind starr. Kriton schließt sie und schließt seinen offenen Mund.
Jetzt kommt der heikle Moment, sie müssen den Raum verlassen. Ihnen ist nicht danach, etwas zu sagen, und mir auch nicht. Ich drehe mich um und suche etwas in meiner Tasche. Ich weiß, daß Platons Theorien über den Körper als Hindernis für die Seele im Christentum Auswirkungen hatten, die mir überhaupt nicht gefallen, und ich weiß auch, daß Sokrates Teil des ewigen Mißverständnisses der abendländischen Kultur ist, doch sein Tod rührt mich immer, vor allem, wenn ich ihn selbst spiele. Als ich mich umdrehe, sind die meisten weg. Ein paar rote Augen, Jungen mit abgewandten Köpfen, die besagen, denk bloß nicht, daß ich beeindruckt bin. Auf dem Gang großer Lärm, viel zu lautes Gelächter. Aber Lisa d’India war geblieben, und die weinte wirklich.
»Hör sofort damit auf«, sagte ich, »wenn du das tust, hast du nichts verstanden.«
»Deswegen heule ich nicht.« Sie steckte ihre Bücher in die Tasche.
»Weswegen dann?« Dumme Frage Nummer 807.
»Wegen allem.«
Ein Götterbild in Tränen. Kein schöner Anblick.
»Alles ist ein ziemlich weiter Begriff.«
»Schon möglich.« Und dann, heftig: »Sie glauben ja selber nicht dran, an die Unsterblichkeit der Seele.«
»Nein.«
»Warum tragen Sie es dann so gut vor?«
»Die Situation in dieser Zelle hing nicht davon ab, was ich einmal darüber denken würde.«
»Aber warum glauben Sie nicht daran?«
»Weil er es viermal zu beweisen versucht. Das ist immer ein Zeichen von Schwäche. Meiner Meinung nach glaubte er selber nicht daran, oder nicht richtig. Aber es geht nicht um die Unsterblichkeit.«
»Worum dann?«
»Es geht darum, daß wir über die Unsterblichkeit nachdenken können. Das ist ganz eigenartig.«
»Ohne daran zu glauben?«
»Ich meine, ja. Aber Gespräche dieser Art sind nicht meine Stärke.«
Sie stand auf. Sie war größer als ich, unwillkürlich
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