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Die folgende Geschichte

Die folgende Geschichte

Titel: Die folgende Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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gekommen, es habe, sagte er, wohl ein Jahr gedauert, er hätte in dieser Zeit ein Buch mit seinen Erinnerungen schreiben können, dem Krieg, den Luftgefechten, den Bombenangriffen, den beiden Frauen in seinem Leben, für die er bei jeder Abreise eine besondere Mahlzeit zubereitete und einfror, damit sie die essen könnten, wenn er am anderen Ende der Welt war, das sei vielleicht albern und kindisch, aber es habe ihm immer insgeheim Freude bereitet, genauso wie es ihm jetzt Freude bereitete, daran zu denken, daß bald, wenn er nicht mehr wäre, diese beiden Frauen, die nichts voneinander wüßten, eine Mahlzeit zu sich nehmen würden, die er, den es dann nicht mehr auf der Welt gebe, noch zubereitet habe, und ob wir das nicht witzig fänden, und gewiß, wir fanden das witzig und blickten in seine stahlharten blauen Augen, und so war auch er weggegangen, aufrecht, federnd, einer, der vor nichts Angst hatte, der mit dem größten Flugzeug der Welt durch die Luft geschwebt war wie mit einem kleinen Papierflieger, er nahm die Hand, die du ausgestreckt hattest, ich sah euch hinter den Glastüren des Salons verschwinden.
    In dieser Nacht träumte ich zum letztenmal von mir in meinem Bett in Amsterdam, aber ich begann mich, der Mann in diesem Bett begann mich zu langweilen. Dieser Schweiß auf der Stirn, dieses verzerrte Gesicht, dieser Ausdruck, als werde da doch noch sehr gelitten, während ich hier so ruhig den Amazonas hinauffuhr, diese Uhr neben meinem Bett, auf der die Zeit festgeklebt zu sein schien, während ich inzwischen schon wieder soviel erlebt hatte. Ich meinte, er solle sich beeilen, dieses Leiden da habe nichts mit dem Apotheosegefühl von mir hier zu tun. Wir waren jetzt nur noch zu dritt, und für jemanden, der von den Klassikern gelernt hat, daß Geschichten einen Anfang und ein Ende haben müssen, sah es allmählich düster aus. Ich konnte nicht abstürzen, niemand hatte je versucht, mich niederzustechen, das einzige Mal, daß ich je mit körperlicher Gewalt konfrontiert worden war, war damals, als Arend Herfst mich zusammengeschlagen hatte, und sogar das hatte er nicht richtig zu Ende geführt.
    Pater Fermi hatte solche Probleme nicht. Er erzählte unbekümmert von dem ekstatischen Augenblick, als er von seinem Abt die Erlaubnis erhalten habe, die Wallfahrt nach Santiago de Compostela zu unternehmen. Eine Vision habe ihn dabei geleitet, die Säule am Hauptportal der Kathedrale, an der sich nun schon seit Jahrhunderten die Pilger am Ende ihres oft monatelangen Weges festgehalten hätten, so daß sich an dieser Stelle eine abwesende Hand im polierten Marmor gebildet habe. Es war ein starkes Bild, muß ich zugeben, er machte wesentlich mehr daraus als ich in Dr. Strabo’s Reiseführer für West- und Nordspanien. Ich hatte es erwähnt, mehr nicht, doch er machte es hochdramatisch: Wie es möglich sei, daß eine Hand, mit der man den Marmor einer Säule berühre, den winzigsten Teil Marmor mitnehme, mikroskopisch, unsichtbar klein, und wie all diese Hände in all diesen Jahrhunderten durch die unablässig wiederholte Handlung eine Hand skulptiert hätten, die nun gerade nicht existiere. Wie lange würde es dauern, wenn man so etwas allein tun müßte? Vielleicht zehntausend Jahre!
    Ich wußte, wovon er sprach, denn auch ich war einer der Bildhauer, auch ich hatte meine Hand in dieses Handnegativ gelegt. Das war mehr, als Dom Fermi je getan hatte, denn als er endlich nach dreimonatiger Wanderung von Mailand aus in Santiago angelangt war, hatte er getan, was jeder tat (vorgeschrieben von Dr. Strabo), er war auf den Hügel gestiegen, der dort vor der Stadt liegt, um die Silhouette der Kathedrale in der Ferne zu sehen, er war auf die Knie gefallen und hatte gebetet, und dann war er in Ekstase (sagte er verlegen) den Hügel hinabgeeilt und unten, als er die Straße überqueren wollte, um auf der »richtigen Seite« zu gehen, prompt von einem Krankenwagen angefahren worden. So wie er seine Pilgerfahrt vorgemacht hatte, ein alter Mann mit tänzelnden Schritten, so tanzte er sich selbst unter das Gewicht dieses Wagens, mit den Armen fuchtelnd, als wäre ein ganz großer Vogel auf ihn zugeflogen oder ein furchterregender Engel, auch das ist möglich. Professor Deng mußte aufspringen, um ihn zu halten, doch das merkte er schon nicht mehr, er hatte nur noch Augen für dich. Was hattest du ihm vorgezaubert? Keiner von uns wird je wissen, was der andere gesehen hat, wenn er dir seine Geschichte erzählt, doch welches

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