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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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einander im Prozess des kulturellen Wandels ganz unterschiedlich, aber sie sind immer noch in unserer biologischen Vergangenheit verwurzelt.
    Dasselbe gilt für das Prinzip des kombinatorischen Reichtums. Die Gehirnstruktur sieht kombinatorisches Wirken vor, also die Integration von Informationen durch die Kombination verschiedener Inputs. Beim Menschen bilden einen Teil dieses Inputs vielleicht Information von anderen Menschen – die Worte und Handlungen anderer. Und da unsere neuronalen Netzwerke sich gegenseitig speisen, führen diese sozialen Inputs dazu, dass bestimmte neuronale Verbindungen gestärkt und andere geschwächt werden. Über diesen Prozess wird unser Gehirn verändert, so dass wir von den Leistungen der anderen profitieren und in Form von Sprache, Werken oder Gedanken immer neue Kombinationen entwerfen können. Der weite kulturelle Raum, in dem die Menschheit unterwegs ist, wurzelt darin,dass unsere Gehirne sich kombinatorisch entwickeln, funktionieren und einander beeinflussen.
    Und schließlich ist auch das Prinzip der Rekurrenz in unserer biologischen Konstitution verankert. Aus Sicht der Evolution zahlt sich Zufriedenheit nicht aus. Besser ist es, wenn wir beständig nach Handlungen Ausschau halten, die unsere Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit steigern. Wie bei vielen anderen Tieren sind unsere Gehirne so strukturiert, dass sie unter den vorliegenden Optionen die beste auswählen. Selbst unter sich verbessernden Umständen zahlt sich Selbstzufriedenheit nie aus, weil wir damit eine Gelegenheit verpassen könnten und riskieren, dass andere sich besser anstellen als wir. Unter einer gegebenen Auswahl von Optionen suchen wir also ständig nach der, die am besten zu unseren Werten passt; die beste Nahrung, den besten Partner, das beste Produkt, das beste Kommunikationsmittel, das beste Transportmittel oder die beste Erklärung. 142 Die Optionen und unsere Wertschätzung dieser, kann sich mit der Zeit verändern, unsere Suche nach dem Besten aber verändert sich nicht. Selbst ein Einsiedlermönch entscheidet sich für den besten Ort zum Meditieren oder die beste Lebensform. Mangelndes Interesse an der Suche nach dem Besten, Gleichgültigkeit gegenüber allem gilt als Krankheit, als Zeichen für Rückzug oder Depression.
    Wie wir beim TD-Learning gesehen haben (Kapitel 7), lernen wir relativ, passen also unsere Erwartungen ständig an, indem wir aus Diskrepanzen lernen. Wenn bestimmte Optionen oder Werte verstärkt werden und sich allgemein etablieren, kommen daher irgendwann neue auf und führen in die nächste Runde von Verstärkung und Wettbewerb. Diese beständige Verschiebung von Erwartungen und Werten hält unsere Kultur in Bewegung. Würden wir irgendwann einen Punkt erreichen, an dem alle vollständig befriedigt wären, dann würde vielleicht die Kultur stehen bleiben. Doch das ist sehr unwahrscheinlich, weil wir von Natur aus meistens mit irgendeinem Aspekt des Lebens unzufrieden sind: Unser Gehirn sucht ständig nach Diskrepanzen und nach Handlungen, mit denen diese sich lösen lassen. Und würde irgendwo tatsächlich eine Nische stagnierender menschlicher Kultur aufkommen, so würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach sehr bald von einer konkurrierenden Gruppe weniger zufriedener Menschen überrannt werden, die nach neuenTerritorien oder Ressourcen sucht. Das Prinzip der Rekurrenz, der ständig in Wandlung befindliche Kontext im kulturellen Raum, begründet sich in unserer Biologie, in unserem dauernden Streben nach der besten unter den möglichen Optionen.
    Alle Parameter für den kulturellen Wandel begründen sich also in unserer biologischen Vergangenheit. Viele davon finden wir auch bei anderen sozialen Tieren von den Termiten bis zu den Hunden. Durch die Evolution des Homo sapiens aber trafen die Parameter aufeinander und begannen besonders stark aufeinander einzuwirken. Die Fähigkeit, zu lernen, zu kommunizieren und in Beziehung zueinander zu treten, ist bei uns sehr viel stärker entwickelt als bei jedem anderen Geschöpf. Ein Termitenbau ist ein großartiges Gemeinschaftswerk, aber seine Grundform verändert sich nur im Maßstab der Evolution, wenn sich die instinktiven Reaktionen der Termiten-Baumeister verändern. Unsere Häuser und Städte dagegen unterscheiden sich sehr stark von den Behausungen unserer Vorfahren von vor 10000 Jahren. Und das liegt nicht an genetischen Veränderungen, sondern an den kulturellen Umwandlungsvorgängen, die sich aus unserer Fähigkeit, zu
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