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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Autoren: Enrico Coen
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lernen, zu kommunizieren und aufeinander einzuwirken, ergeben. Mit dem Vorankommen auf unserer kulturellen Reise haben sich auch unsere Fortschritte so rückgekoppelt, dass die verschiedenen Voraussetzungen für diese Reise verbessert wurden. Die Entwicklung effizienterer Kommunikations- und Transportmittel zum Beispiel förderte Populationsvariabilität, Persistenz, Verstärkung, Wettbewerb, Kooperation und kombinatorischen Reichtum und katalysierte damit unsere rekurrente Bewegung im kulturellen Raum noch weiter.
    Wie wir bereits festgestellt haben, sind Evolution, biologische Entwicklung und Lernen drei Instanzen der Formel des Lebens, die einander gegenseitig umrahmen. Alle drei Prozesse ähneln sich formal, sind aber auch historisch verbunden: Die biologische Entwicklung ruht in der Evolution und das Lernen in beidem. Den kulturellen Wandel können wir nun als vierte Instanz der Formel sehen, die von den anderen drei umrahmt wird. Er ähnelt den anderen Wandlungsprozessen nicht nur in der gemeinsamen Formel, sondern ist zudem ganz in sie eingebettet.
    Unsere Geschichte ist sogar noch verwickelter. Denn unser Verständnis von Evolution, biologischer Entwicklung und Lernen ist jaselbst ein Produkt der Kultur. Die Theorien von Darwin oder Turing sind Ergebnisse unseres jahrhundertealten kulturellen Erbes. Die vierte Instanz unserer Formel ist in einer bestimmten Hinsicht etwas Besonderes. Die menschliche Kultur nämlich wird nicht nur von den anderen drei Prozessen umrahmt; durch das Wirken der Kultur können wir die anderen überhaupt erst wahrnehmen. Sie umrahmt die anderen und wird zugleich selbst von allen umrahmt. Das ist, als würde Sindbad, der seinen Gästen seine Geschichte erzählt, laut aus dem Buch Tausendundeine Nacht vorlesen, in dem seine eigene Geschichte enthalten ist.
    Als Rahmensystem wirkt die Kultur nicht nur auf die Biologie, sondern auf die gesamte Wissenschaft. Die Theorien Newtons und Einsteins sind genauso ein Produkt der Kultur wie die von Darwin oder Turing. Wie können wir diesen doppelten Aspekt der Kultur unter einen Hut bringen? Welcher von ihnen soll als primär gelten, Kultur als Rahmen für die Wissenschaft oder Wissenschaft als Rahmen für die Kultur? Ich möchte dazu untersuchen, wo einige unserer grundlegendsten Erkenntnisse über die Welt ihren Ursprung haben.
MÖGLICHE WELTEN
    Normalerweise beschreiben wir den Raum als dreidimensional, und die materiellen Objekte darin verfügen über Länge, Breite und Tiefe. Wir können uns Gegenstände mit weniger Dimensionen vorstellen, aber sie hätten keine materielle Existenz: Ein zweidimensionales Objekt wäre unendlich dünn und daher substanzlos. Über Objekte mit mehr als drei Dimensionen dagegen lässt sich nur sehr schwer nachdenken. Wir können uns vierdimensionale Objekte nicht einfach so vorstellen. 143 Beruht nun diese Einschränkung auf unserem Verstand oder auf unserer physischen Umwelt?
    Betrachten wir zunächst einmal, mit welchen Mitteln wir Objekte beurteilen. Halten wir einen Apfel in der Hand, so können wir viele Aspekte bewerten: etwa Farbe, Geruch und Form. Geht das Licht aus, so können wir den Apfel nicht mehr sehen, aber Geruch und Form bleiben über Geruchs- und Tastsinn immer noch klar wahrnehmbar. Wir würden sagen, der Apfel ist immer noch da, nur können wir ihnnicht sehen. Auch wenn wir den Apfel aus irgendeinem Grund nicht mehr riechen könnten, würden wir nicht befinden, dass er weg ist, weil wir ihn ja immer noch sehen und fühlen könnten. Ganz anders ist die Situation dagegen, wenn wir uns vorstellen, dass der Apfel sich nicht mehr greifen lässt. Würden wir sehen, dass unsere Finger durch den Apfel hindurchgreifen, wenn wir sie um ihn schließen wollen, so würden wir daraus wohl schließen, dass der Apfel ein Phantom geworden ist, das nicht mehr wirklich existiert. Wie ein Apfel sich anfühlt und unserer Berührung widersteht, ist also offenbar ein wesentliches Merkmal, während Merkmale wie visuelle Erscheinung und Geruch eher nebensächlich sind.
    Aus biologischer Sicht hat diese größere Bedeutung, die wir bestimmten Aspekten eines Objekts zubilligen, damit zu tun, was für unser Überleben und unsere Reproduktion am wichtigsten ist. Am bedeutendsten ist für uns das Kontaktmuster, das wir mit den Gegenständen aus unserer Umwelt aufbauen. Wir essen, indem wir Kontakt mit Nahrung herstellen, wir reproduzieren uns, indem wir Kontakt zu Mitmenschen herstellen, und wir verlängern unser Leben,
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