Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)
Sequenz drei neue Regulatorproteine produziert, sagen wir ein schmaler Streifen Erdbeeren, dann ein Streifen Mandarinen, ein Streifen Trauben, dann wieder ein Streifen aus Erdbeeren, Mandarinen und Trauben. Dasselbe Erdbeer-Mandarinen-Trauben-Thema wird über die ganze Länge des Embryos wieder und wieder abgespielt, insgesamt 14 Mal. Diese Proteine werden von einer weiteren Gengruppe gebildet (den Segmentpolaritätsgenen). Um ihr wiederholtes Aktivitätsmuster zu bewirken, wird nach den bereits beschriebenen Prinzipien auf die vorausgehende Verteilung von Bananen, Zitronen und so weiter aufgebaut. Allerdings werden in diesem Fall die Gene über die gesamte Länge des Embryos wiederholt an verschiedenen Stellen angeschaltet.
(26) Wechselwirkungen zwischen Themen und Variationen im Fruchtfliegenembryo.
Zeitgleich mit der Einrichtung dieses sich wiederholenden Themas werden von Kopf bis Schwanz noch weitere Regulatorproteine produziert, wie in Abbildung 26 links zu sehen ist. Dieses Proteinmuster ist unserem vorigen Muster aus Bananen, Zitronen und so weiter recht ähnlich. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass die Grenzen zwischen den Fruchtregionen jetzt schärfer und genauer definiert sind. Diese Regulatorproteine werden wiederum von einer anderen Gengruppe produziert (den Hox -Genen).
Nun stellen wir uns vor, dass wir unsere beiden Muster übereinander legen, wie bei dem Embryo in Abbildung 26 unten zu sehen. Wir haben jetzt ein Thema mit Variationen – ein sich wiederholendes Muster in Kombination mit Abwandlungen, die sich aus der Progression der scharf definierten Regionen vom Kopf zum Schwanz ergeben. Dieses sich überlagernde Muster ergibt den Grundbauplan der Fliege. Jede erwachsene Fliege besteht aus 14 Segmenten, von denen einige den Kopf bilden, andere die Brust (Thorax) und der Rest den Hinterleib (Abdomen). Die Segmente unterscheiden sich voneinander: Eines trägt Fühler, andere tragen Beine, eines Flügel, und so weiter. Wir haben es mit einem sich wiederholenden Thema zu tun, dem Segment, und mit Variationen darüber, weil die Segmente sich unterscheiden. Diese Organisation verweist zurück auf das Muster der Regulatorproteine im frühen Embryo, unseren sich überlagernden Fruchtmustern. Den modularen Aufbau der Fliege bewirkt also die frühe Kombination von Regulatorproteinen, über die Muster der Genaktivität erlangt werden, die schließlich zum Segmentaufbau der erwachsenen Fliege führen. Mutationen, bei denen die Gene, die für die Regulatorproteine codieren, zerstört werden, führen zur Bildungvon Fliegen, denen Segmente fehlen oder bei denen sich einzelne Segmente im falschen Typus ausbilden. 35
All diese Muster entstehen durch das wiederholte Durchlaufen der Prozesse, die wir bereits beschrieben haben. Aufbauend auf jedes Muster von Regulatorproteinen entsteht ein weiteres Muster, und das immer wieder, so dass das Muster sich nach und nach verändert. Biologische Entwicklung bedeutet nicht nur eine oder zwei Umwandlungen, sondern eine ganze Serie, eine rekurrente Ausarbeitung des Bildes, wobei immer auf das Vorausgehende aufgebaut wird.
Wo liegt die Antriebskraft, die den Embryo auf diesem ganz eigenen Weg durch den Entwicklungsraum vorwärtstreibt? Wir brauchen hier den immer im Wandel befindlichen Kontext, den die Musterbildung generiert. Jeder Schritt der Musterbildung hängt nicht nur vom vorausgehenden ab, sondern verändert zugleich das Gesamtbild und beeinflusst damit die nächsten Schritte. Die Regulatorgene nämlich reagieren einerseits über ihren Regulationsbereich auf andere Proteine und beeinflussen andererseits die Aktivität anderer Gene, weil sie ihre eigenen Regulatorproteine produzieren. Und da die Regulatorproteine aus einem Zellkern oder einer Zelle sich über Molekularwanderung und Signalaustausch auf die Nachbarn auswirken, ist dieser Prozess in Raum und Zeit koordiniert. Die Zellen reagieren auf bestimmte Kontexte und verändern damit zugleich diesen Kontext, und das treibt den Embryo auf seiner Entwicklungsreise voran. So also bahnt sich der Embryo seinen Weg durch den Entwicklungsraum. Es ist das Prinzip der Rekurrenz, bei dem der Kontext durch die wiederholte Anwendung desselben Grundprozesses beständig neu definiert wird.
Wenn jedes Stadium der embryonalen Entwicklung eine Abwandlung des vorausgehenden Kontexts ist, stellt sich die berechtigte Frage, woher dann der ursprüngliche Kontext stammte. Im Fall des Taufliegenembryos begann unsere Geschichte
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