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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Milliarde Jahren änderten diese Reaktionen den Maßstab. Statt einzeln reagierender Zellen wurden die Reaktionen zwischen den vielen Zellen eines Individuums koordiniert. Die Pflanzenwelt liefert uns dafür einige einleuchtende Beispiele.
DIE GESCHICHTE DER FLORA
    Dürers Darstellung eines Grasbüschels ist eines der kuriosesten Werke der Renaissance; den Preis für Exzentrizität aber bekommen Giuseppe Arcimboldos Gemälde. Für seinen Bibliothekar (Abb. 41) baut er aus Büchern und Papier einen bärtigen Mann mitsamt Arm und Papierhand. Die ungewöhnliche Nebeneinanderstellung von Gegenständen und Bedeutungen rückt dieses Gemälde eher in die Nähe der surrealistischen Malerei des 20. Jahrhunderts als in die anderer Renaissancewerke. Das bekannteste Beispiel für Arcimboldos Arbeit sind wohl seine vier Jahreszeiten (Abb. 42), wo er aus Pflanzen der verschiedenen Jahreszeiten menschliche Köpfe zusammenstellt. Für den F rühling baut er den Kopf aus Blüten, für den Sommer nimmt er Früchte, für den Herbst Kartoffeln und Trauben, während er für den Winter einen knorrigen Baumstumpf darstellt. Pflanzen eignen sich hervorragend zur Illustration der vier Jahreszeiten, weil sie sich übers Jahr hinweg so extrem verändern.
    (41)  Der Bibliothekar . Giuseppe Arcimboldo, 1565.
    (42)  Die vier Jahreszeiten : Der Frühling (oben links), Der Sommer (oben rechts), Der Herbst (unten links) und Der Winter (unten rechts). Giuseppe Arcimboldo, 1573.
    Gleichzeitig mit dem Wechsel der Pflanzen altern in Arcimboldos Gemälden auch die Köpfe von der Jugend im Frühling zum runzeligen alten Mann im Winter . Doch trotz der Parallelen zwischen dem Altern des Menschen und dem jahreszeitlichen Wandel bei Pflanzen besteht doch ein bedeutender Unterschied. Wir nämlich altern unabhängig von unserer Umwelt. Natürlich können bestimmte Faktoren unserer Umwelt, etwa unsere Ernährung oder das Ausmaß, in dem wir Wind und Wetter ausgesetzt sind, das Aufkommen von Falten und Runzeln beschleunigen oder bremsen. Insgesamt aber altern wir ständig und ohne Bezug auf unsere Lebensumstände. Viele der entscheidendenEtappen im Leben einer Pflanze dagegen, etwa der Austrieb von Blüten, ereignen sich als spezifische Reaktionen auf die Umwelt. Pflanzen passen ihre Form regelmäßig der Jahreszeit an. Wie machen sie das?
    Einer der wichtigsten Umweltfaktoren, den Pflanzen abfragen, ist die Tageslänge. Einige Pflanzen reagieren darauf, dass die Tage nach dem Winter langsam länger werden, und treiben erst dann ihre bunten Blüten, wenn die Tage lang genug sind. Um die Tageslänge zu messen, muss man den Abstand zwischen zwei Ereignissen bestimmen können: zwischen Sonnenaufgang und -untergang. Dafür müssen Pflanzen die Lichtmenge beobachten und den Zeitverlauf wahrnehmen können.
    Lichtempfindlichkeit ist bei Pflanzen durchaus geläufig. Licht ist ein so wichtiger Teil ihres Lebens – er liefert die lebensnotwendige Energie für die Photosynthese –, dass Pflanzen vielerlei Wege herausgebildet haben, Intensität und Qualität des Lichts zu messen. Die Fähigkeit beruht auf ganz unterschiedlichen Rezeptorproteinen, die Kettenreaktionen in Gang setzen, wenn sie durch Licht dazu veranlasst werden; so werden etwa Gene an- oder abgeschaltet. Die erste Voraussetzung für das Messen der Tageslänge – die Fähigkeit, Licht wahrzunehmen und darauf zu reagieren – findet sich also nicht nur bei Tieren, sondern stellt auch ein Grundmerkmal von pflanzlichen Systemen dar.
    Erstaunlicher ist vielleicht, dass auch Pflanzen eine innere Uhr besitzen. 52 Zum ersten Mal stellte das 1729 der französische Astronom Jean-Jacques d’Ortous de Mairan fest. Er fragte sich, warum Mimosen nachts ihre Blätter zusammenziehen und sie tags auffalten. Er wollte herausfinden, ob das mit der unterschiedlichen Lichtintensität von Tag und Nacht zu tun hatte, und stellte einige Pflanzen in einen dunklen Schrank. Doch er stellte fest, dass die Pflanzen ihre Blätter weiterhin im Tagesrhythmus öffneten und schlossen, obwohl sie ständig im Dunkeln standen. Entscheidend für die Beibehaltung des Rhythmus war also nicht die Variabilität der externen Lichtintensität – sondern ein interner Vorgang, als besäße die Pflanze eine eingebaute Uhr.
    Erst in den letzten Jahrzehnten wurde allmählich verstanden, wie biologische Uhren bei Pflanzen und Tieren funktionieren. Bei Pflanzen gelang das über die Forschung an der Arabidopsis thaliana , einer verbreiteten

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