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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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krautigen Pflanze, die in Dürers Grasbüschel durchaus nicht fehl am Platz gewesen wäre. Als Modellpflanze entspricht sie der Taufliege und lässt sich im Labor ähnlich schnell vermehren.Untersuchungen an der Arabidopsis ergaben, dass die innere Uhr von der täglichen Zu- und Abnahme bestimmter Regulatorproteine abhängt. 53 Wir erinnern uns, dass Regulatorproteine an Gene binden und sie aktivieren oder hemmen können. Die Konzentration der Regulatorproteine, die die Uhr steuern, nimmt aufgrund einer Rückkopplungsschleife alle 24 Stunden zu oder ab. Steigt die Konzentration eines Regulatorproteins in einer Zelle an, so beginnt es gleichzeitig die Produktion eines Hemmproteins anzuschalten. Der Hemmer nimmt allmählich zu und bewirkt, dass nicht noch mehr Aktivator gebildet wird. Wenn aber nur noch geringere Mengen des Aktivators vorhanden sind, wird auch der Hemmer nicht mehr produziert; damit kann die Konzentration des Aktivatorproteins wieder ansteigen, und der Kreis schließt sich. Es dauert etwa 24 Stunden, bis das System einen solchen Rhythmus komplett durchlaufen hat. Das Rückkopplungssystem ähnelt den Abläufen von Turings Modell aus Kapitel 3, nur dass wir hier zeitliche und keine räumlichen Muster erstellen.
    Die Uhr einer Pflanze trägt noch ein weiteres Schlüsselmerkmal. Normalerweise wird sie durch äußere Ereignisse wie den Sonnenaufgang geregelt – so, als würde man eine Uhr täglich im Morgengrauen nachstellen. Das hat keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit, in der die Uhr weiterläuft – sie durchläuft einen Zyklus noch immer in etwa 24 Stunden. Normalerweise aber wird der Zyklus so synchronisiert, dass er mit den täglichen Umweltfluktuationen zusammenfällt. (Das ist nicht der Fall, wenn Pflanzen künstlich in ständiger Dunkelheit gehalten werden; dann läuft die Uhr ohne Bezug zur Umwelt weiter.) Zu dieser Synchronisation kommt es, weil das zyklische Verhalten der Regulatorproteine häufig durch die Übergänge zwischen Hell und Dunkel beeinflusst wird. Das erste Aufkommen von Licht am Morgen führt zu einer molekularen Veränderung in der Einstellung der Uhr, die zumindest bis zum nächsten Sonnenaufgang erhalten bleibt, wenn die Uhr wieder nachgestellt wird. Die Pflanzenuhr bestimmt also zeitliche Ereignisse nicht absolut, sondern im Verhältnis zu externen Ereignissen wie dem Sonnenaufgang.
    Kehren wir nun zu unserer Frage zurück, wie die Tageslänge gemessen wird. Dazu verknüpfen die Pflanzen ihre Lichtempfindlichkeit mit Informationen ihrer inneren Uhr. Wenn im Frühling die Tage länger werden, wird auf den Blättern im Verhältnis zum Sonnenaufgang immer später noch Licht wahrgenommen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der interne Zyklus der Regulatorproteine bereits in späteren Phasen. Irgendwann bewirkt die Lichtwahrnehmung in einer bestimmten späteren Phase, dass die Blätter ein Signalmolekül produzieren, das an die Wachstumsspitzen der Pflanze wandert. Dort aktiviert das Molekül Gene, die das Austreiben von Blüten veranlassen, so dass sich allmählich Blütenknospen entwickeln. Die Frühlingsblüte, die wir Jahr für Jahr erleben, beruht auf dieser Verknüpfung von Lichtempfindung, Zeitanzeige und Signalaustausch. Über diesen Prozess können viele Pflanzen das zeitliche Verhältnis zweier Ereignisse messen – etwa von Sonnenaufgang und -untergang – und daraus die aktuelle Jahreszeit ableiten.
    Über ihre Anpassung an die Jahreszeiten können Pflanzen zeitliche Verhältnisse erfassen. Diese Verhältnisse sind aber zugleich auch im Raum eingebettet. Die Einstellung der Pflanzenuhr steht im Zusammenhang mit der täglichen Drehung der Erde um ihre Achse. Und der jahreszeitlich gebundene Wandel der Tageslänge spiegelt den jährlichen Umlauf der Erde um die Sonne wider. Pflanzen koordinieren ihre biologische Entwicklung wirksam mit den Bewegungen der Planeten. Und das nicht etwa, weil sie sich besonders für Astronomie interessieren würden, sondern weil es von Vorteil ist, zu bestimmten Jahreszeiten zu blühen – eine instinktive Reaktion, dank derer Pflanzen sich effizienter reproduzieren können.
    Die Geschichte zeigt, wie blühende Pflanzen auf zeitliche und räumliche Eigenschaften ihrer Umwelt reagieren können, obwohl sie womöglich aus Millionen Zellen bestehen. Die Reaktionen individueller Zellen werden nämlich durch interzellulären Signalaustausch koordiniert, so dass die Pflanze als Ganzes reagieren kann. Wir haben hier die Reaktion auf die

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