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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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Eigenschaften. Eine der Zellen durchläuft weitere Runden von Zellteilung und Musterbildung und bildet die Blätter der Pflanze. Die andere wächst, teilt sich und differenziert sich zur Haftplatte. Über rekurrentes Wachstum und rekurrente Musterbildung steigt die Pflanze nach und nach über die verschiedenen Größenordnungen in ihrer Organisation auf.
EINE FORMEL IN DER FORMEL
    Auf einer seiner Europareisen stieß der waffenbegeisterte Bashford Dean auf eine alte Kiste in der Ecke eines alten Dachbodens. Die Kiste gehörte einem Waffenschmied aus dem 16. Jahrhundert und enthielt Teile unfertiger Panzerhandschuhe. Bashford Dean erinnert sich an diese Begebenheit:
    Es fühlte sich seltsam an, diese Objekte in den eigenen Händen zu halten, die so aussahen, als hätte ihr Schöpfer sie erst gestern in die Kiste gelegt. Ich hatte das Gefühl, sobald ich durch die alte Tür da drüben träte, würde ich durch Zauberei wie bei Alice im Wunderland ins 16. Jahrhundert gelangen und im Nachbarraum einen echten Waffenschmied vor dem niedrigen Fenster an seinem Tisch sitzen sehen. 49
    Auch wir haben in diesem Kapitel eine Reise in die Vergangenheit unternommen. Wir haben untersucht, wie Evolution und biologische Entwicklung historisch verknüpft sind. Viele Elemente der biologischen Entwicklung ruhten schon in unseren einzelligen Vorfahren, die vor Milliarden Jahren existierten. Irgendwann in der Evolution der Vielzeller wurden diese Parameter dann neuartig kombiniert. Die frühesten vielzelligen Formen wiesen in ihrer Entwicklung einen begrenzten Grad der Rekurrenz auf, waren also einfach als Zwei-oder Dreizeller organisiert. Sie entsprachen relativ einfachen Zyklen im Entwicklungsraum. Mit der Herausbildung höherer Grade der Rekurrenz und einer Ausweitung immer komplexerer Entwicklungswege konnten die Lebewesen in vielen Größenordnungen Verhältnisse ihrer Umwelt ausloten und erfassen; und damit eröffneten sie sich neue Möglichkeiten, zu überleben und sich effizient zu reproduzieren.
    Die zyklischen Wege der biologischen Entwicklung sind nicht festgelegt, sondern verändern und deformieren sich auf dem evolutionären Zeitstrahl beständig. Denn unsere Reisen durch den genetischen und den Entwicklungsraum sind miteinander verknüpft. 50 Da die Populationen während der Evolution durch den genetischen Raum wandern, können sich die Gene, die die Entwicklungswege beeinflussen, verändern; die Organismen können damit neue Verhältnisse in ihrer Umwelt erfassen. Aus dieser weiteren Perspektive gesehen, folgt die biologische Entwicklung also nicht immer genau demselben Weg und kehrt nicht in jeder Generation genau an denselben Ausgangspunkt zurück. Die Wege verschieben sich schrittweise, so dass sie im Lauf der Evolution eher eine Folge von Spiralen bilden als wirkliche Kreise. Gehen wir mit Henne und Ei weit genug zurück, so werden wir am Ende nicht auf Hennen und ihre Eier stoßen, sondern auf ihre frühen Vorfahren, auf Organismen, die nur wenige Zelltypen enthielten. Und wenn wir noch weiter zurückgingen, würden wir überhaupt keine Entwicklungszyklen mehr finden, sondern einfach nur den Reproduktionszyklus einzelliger Lebewesen.
    Wie Matrjoschka-Puppen stehen Evolution und biologische Entwicklung in doppeltem Verhältnis zueinander. Einerseits ist die biologische Entwicklung historisch in die Evolution eingebettet; sie entstand durch den Evolutionsprozess und ist selbst Teil davon. Andererseits weist die biologische Entwicklung eine ähnliche Form auf wie ihre evolutionäre Mutter, da sie auf derselben Formel beruht. Selbst wenn die eine an vielen Individuen und Generationen ansetzt und die andere am einzelnen Individuum einer Generation, so finden wir doch in beiden Fällen dieselben Grundprinzipien vor.
    Und dabei ist dies keineswegs das Ende der Geschichte. Denn so wie die Evolution die biologische Entwicklung hervorgebracht hat, führte diese, wie wir gleich sehen werden, zu noch einem anderenProzess, der derselben Formel folgt: zum Prozess des Lernens. Damit wir diesen nächsten Übergang untersuchen können, müssen wir aber erst verstanden haben, wie Lernen funktioniert. Und statt sofort mit den Lernprozessen komplexer Lebewesen wie Hunden oder Menschen einzusteigen, betrachten wir im ersten Schritt zunächst einmal eine Reihe einfacherer Organismen.

K APITEL 6
EINFACHE REAKTIONEN
    Eines der erstaunlichsten Gemälde der Renaissance ist eine akkurate Darstellung eines Grasbüschels von Albrecht Dürer

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