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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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über die Wechselwirkungen von Neuronen erreicht.
    Betrachten wir Abbildung 61. Dort sehen wir das gleiche Schema wie zuvor, aber ergänzt durch ein Diskrepanzneuron. Wir erinnern uns aus dem vorigen Kapitel, dass Diskrepanzneurone an der Erkennung von Unstimmigkeiten beteiligt sind. Um das auf die Augenbewegung anzuwenden, betrachten wir zunächst, was ein Augenbewegungsneuron in unserem Schema tut. Wie wir sehen, sind das zwei Dinge: Es verschickt ein Signal, mit dem die Augenbewegung gesteuert wird, und dasselbe Signal (die so genannte Efferenzkopie) an das Diskrepanzneuron. Das Signal an das Diskrepanzneuron wird bei der Übermittlung verzögert, es erreicht das Auge also erst, wenn die Augenbewegung bereits vollzogen wurde. Dann erst stimuliert es über eine starke stimulierende Synapse (Pluszeichen) das Diskrepanzneuron.
    (61) Erlernen der Kalibrierung mittels eines Diskrepanzneurons.
    Auch das Signal aus dem Sichtverschiebungsneuron geht an das Diskrepanzneuron und erreicht es gleichzeitig mit dem verzögerten Signal aus dem Augenbewegungsneuron. Anders als das Augenbewegungsneuron ist das Sichtverschiebungsneuron allerdings mit einer hemmenden Synapse (Minuszeichen) an das Diskrepanzneuron gebunden, es schwächt die Aktivität des Diskrepanzneurons also ab. Außerdem ist die Stärke dieser Synapse mit dem Sichtverschiebungsneuron nicht festgelegt, sondern kann variieren. Seine Variation hängt von der Rückkopplung aus dem Diskrepanzneuron ab (grauer Pfeil nach oben). Feuert das Diskrepanzneuron stärker als mit der Grundrate, so verstärkt es tendenziell seine Synapse. Feuert das Diskrepanzneuron dagegen schwächer als mit der Grundrate, so schwächt es seine Synapse. Wir verfügen damit über ein Rückkopplungssystem, in dem der Output des Diskrepanzneurons so rückgekoppelt ist, dass er die Stärke seines Inputs beeinflusst, nämlich die seiner Synapse mit dem Sichtverschiebungsneuron.
    Was geschieht nun, wenn wir das Auge über ein fixes Bild nach rechts gleiten lassen? Wenn das Augenbewegungsneuron gefeuert hat, feuert proportional dazu auch das Sichtverschiebungsneuron. Nehmen wir an, anfangs ist die Stärke der Synapse zum Sichtverschiebungsneuron schwach. Das heißt, das Diskrepanzneuron wirdvom Sichtverschiebungsneuron nur schwach gehemmt, vom Augenbewegungsneuron aber stark stimuliert. Das Diskrepanzneuron feuert also stärker als mit der Grundrate und verstärkt daher seine Synapse zum Sichtverschiebungsneuron. Kehrt unser Auge zur ursprünglichen Position zurück und vollzieht dann wieder eine Sakkade nach rechts, so kann die Hemmung durch das Sichtverschiebungsneuron die Stimulierung aus dem Augenbewegungsneuron schon besser auffangen, weil die Synapse jetzt stärker ist. Ist der Hemmungsgrad noch immer zu schwach, um die Stimulierung auszugleichen, so wird die Stärke der hemmenden Synapse weiter erhöht. Die Verstärkung geht so lange weiter, bis der hemmende Input aus dem Sichtverschiebungsneuron den konkurrierenden stimulierenden Input des Augenbewegungsneurons ausgleicht. Ist dieses Gleichgewicht einmal hergestellt, feuert das Diskrepanzneuron nur noch mit seiner Grundrate, und die Stärke der Synapse verändert sich nicht mehr. Wir haben das System kalibriert, also die Stärke des Inputs von der Augenbewegung der visuellen Verschiebung angepasst, die sie verursacht. Das beruhte auf unserer vertrauten doppelten Rückkopplungsschleife zwischen Verstärkung und Wettbewerb, angetrieben durch ein Gleichgewicht von Variabilität (Augenbewegungen und Sichtverschiebungen) und Persistenz (andauernde Veränderungen der Synapsenstärke).
    Ist unser Auge auf diese Weise kalibriert, so kann das System erkennen, ob eine visuelle Verschiebung durch eine Augenbewegung verursacht wurde oder durch ein externes Ereignis. Bewegt sich unser Auge nach rechts, so feuert das Diskrepanzneuron mit der Grundrate, weil es zuvor kalibriert wurde. Nun nehmen wir aber an, dieselbe visuelle Verschiebung auf unserer Netzhaut wird durch ein äußeres Ereignis verursacht, das das Bild vor uns verschiebt, zum Beispiel das Gemälde, das wir betrachten. Jetzt erhält das Diskrepanzneuron kein Signal vom Augenbewegungsneuron (das Auge hat sich ja nicht bewegt); zugleich geht aber vom Sichtverschiebungsneuron noch immer ein hemmendes Signal ein. Das führt insgesamt dazu, dass die Feuerungsrate des Diskrepanzneurons unter die Grundrate fällt. Veränderte Feuerungsraten des Diskrepanzneurons sagen uns also, dass ein Ereignis

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