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Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition)

Titel: Die Formel des Lebens: Von der Zelle zur Zivilisation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrico Coen
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passiert ist.
    Den Nachweis dafür, dass wir unsere Augen durch Lernen kalibrieren, liefert folgender Versuch. 81 Setzen wir eine Versuchsperson in einen dunklen Raum und fordern sie auf, einem Lichtpunkt zu folgen, der von einer Stelle zur anderen hüpft, so folgen ihre Augen dem Ziel. Verschiebt sich das Ziel, so nehmen die Augen diese Veränderung wahr, heben ab und landen so, dass die neue Zielposition im zentralen Gesichtsfeld liegt. Diese Augenbewegungen lassen sich elektronisch aufzeichnen und erlauben so die Durchführung eines visuellen Tricks. In dem Moment, wenn die Augen abheben und dem Ziel folgen, wird das Ziel ein wenig rückwärts verschoben, bevor die Augen landen. Erwartungsgemäß werden anfangs die Augen also über das Ziel hinausschießen. Nach einigen Versuchen aber passen sich die Augen automatisch an und lernen, etwas kürzere Sprünge zu machen; damit treffen sie das Ziel wieder korrekt, obwohl es verschoben wurde. Die Augen rekalibrieren sich selbst in Reaktion auf die neue Situation.
    Das Kalibrieren zu lernen, ist durchaus sinnvoll. Jeder von uns wird mit einem leicht unterschiedlichen Körper und anderem Muskeltonus geboren, und während des Wachstums kann beides sich ohnehin verändern. Die Kraft Ihres Augenmuskels unterscheidet sich zum Beispiel leicht von der meines Augenmuskels. Wären nun unsere Kalibrierungen angeboren und unveränderlich, so ist schwer vorstellbar, wie sie bei dieser Variabilität zuverlässig arbeiten sollten. Das gilt auch für die Bombarde: Wenn auf Grund von Schwankungen bei der Herstellung jede etwas unterschiedlich weit schießt, wäre es sinnvoll, auch jede in Abhängigkeit von ihrer Leistung individuell zu kalibrieren.
V ISUELLE VERSCHIEBUNGEN
    Welche neuronalen Wechselwirkungen könnten der visuellen Kalibrierung zu Grunde liegen? Beginnen wir mit einem stehenden Bild und beobachten wir, wie unsere eigenen Handlungen, die Augenbewegungen, in Bezug zu den visuellen Wirkungen stehen, die sie auslösen. Stellen wir uns vor, wir betrachten mit fixiertem Kopf einen grauen Gegenstand auf schwarzem Hintergrund. In Abbildung 59 oben sehen wir eine Skizze von dem, was auf der Rückseite eines Auges passiert. Um es möglichst einfach zu halten, habe ich alles in nur einer Dimension dargestellt. Das Bild von unserem Gegenstand, das auf die Netzhaut trifft, symbolisiert die graue Linie, und die Netzhaut selbst sehen wir darunter als einfache Reihe von Photorezeptoren, also lichtempfindlichen Neuronen. Ich habe das Bild des grauen Gegenstands in die Mitte des Gesichtsfeldes gesetzt. Wir sehen, dass nur die Photorezeptoren, die Licht von dem Gegenstand erhalten, stark gereizt sind (senkrechte Striche in den Photorezeptoren).
    (59) Gegenstand (waagerechte graue Linie) bei der Wahrnehmung durch die Netzhaut vor (oben) und nach (unten) einer Rechtsverschiebung der Netzhaut, ausgelöst durch ein Augenbewegungsneuron. Die Länge der senkrechten Striche in den Photorezeptoren zeigt den Grad der neuronalen Aktivität an.
    Darunter erkennen wir, was passiert, wenn wir mit einer Augenbewegung die Netzhaut nach rechts verschieben. Diese Bewegung wird von einem (dunkelgrau dargestellten) Neuron ausgelöst, das Bewegungen des Augenmuskels veranlasst. Wir nehmen an, je stärker oder länger dieses Augenbewegungsneuron feuert, desto weiter nach rechts verschiebt sich die Netzhaut. (Der Einfachheit halber ignoriere ich die Bildumkehrung im Auge.)
    Bewegt sich die Netzhaut nach rechts, so verursacht das eine Veränderung der Aktivität der Rezeptorneurone. Einige Photorezeptoren, die bisher im Dunkeln lagen, erhalten jetzt Licht von dem grauen Gegenstand, andere dagegen nehmen jetzt Dunkelheit wahr. In einem ersten Schritt wollen wir versuchen, diese Veränderung des visuellen Inputs mit der Stärke der Augenverschiebung in Bezug zu setzen. Wir wollen also visuelle Neurone identifizieren, die proportional zum Grad der Augenbewegung reagieren.
    Betrachten wir einen einzelnen Photorezeptor im linken Bereich der Netzhaut, in Abbildung 59 mit einem weißen Pfeil markiert. Dieser Rezeptor befand sich ursprünglich im Ruhezustand, wurde aber bei der Verschiebung der Netzhaut gereizt, weil der graue Gegenstand in sein Sichtfeld geraten ist. Steht die veränderte Aktivitätdieses Photorezeptors nun in Proportion zum Grad der Augenverschiebung? Das Problem ist, dass dieser Photorezeptor immer gleich gereizt wird, auch wenn die Verschiebung größer ausgefallen wäre als die gezeigte. Die

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