Die Fotografin
begangen zu haben oder schuld zu sein und das tragische Ereignis hat sie deshalb bis heute nicht verkraftet.“
„Was für ein tragisches Ereignis meinst du?“
„Den Tod unseres ... na, du weißt schon!“
Klack, klack, klack. Plötzlich höre ich überdeutlich, wie Gregor den Ring an seiner Taucheruhr nervös hin und her dreht, so wie damals.
„Ach das! War eine schlimme Sache für euch beide, der Tod eures Sohnes“, sagt Brandt völlig ungerührt. „Du hast ja damals gerade mit dem Parteivorsitzenden telefoniert.“
„Lassen wir das jetzt!“, würgt Gregor schnell das Thema ab und dreht weiter an seiner Uhr, derart lange, bis es selbst Brandt zu viel wird.
„Kannst du damit aufhören, Gregor? Dieses Klacken macht mich noch wahnsinnig. Also, was sind deine weiteren Schritte?“
„Hans hat versprochen, Adriana bis nach der Wahl in seiner Klinik zu behalten. Offiziell ist sie auf Kur, das erzählt A. M. auf Anfrage auch der Presse.“
„Oh, A. M. deine junge PR-Assistentin. Bumst du sie regelmäßig?“
In diesem Moment geht auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Tür auf und ein Hund beginnt laut zu kläffen. Ich kann Gregors Antwort nicht mehr hören, denn ich muss schnellstens verschwinden, ehe die Frau mit ihrem Hund mich auf dem Boden entdeckt. Gebückt schleiche ich von der Gartentür weg, an den Hecken der anderen Reihenhäuser entlang, bis ich mich endlich im Schatten eines großen Alleebaums aufrichten kann. In meinem Kopf rotieren die Gedanken und ich schaffe es nicht, sie in ein geordnetes Schema zu bringen. Gregors Partei will, dass ich bis nach der Wahl in der Klinik von Dr. Mertens verschwinde, um Gregors Kandidatur nicht zu gefährden. Er ist ja der Sympathieträger der Partei und ohne ihn sieht es für die Wahl schlecht aus. Aber ich lasse mich trotzdem nicht als verrückt abstempeln. Ich werde beweisen, dass mein Liebhaber existiert.
Erschöpft presse ich meine Stirn gegen die knorrige Rinde des Straßenbaums, bemühe mich, meine Situation nüchtern zu analysieren und unterdrücke den immer stärker werdenden Drang, einfach loszuheulen. Meine beste Freundin Marion belügt mich, meinen langjährigen Freund Raul habe ich tief beleidigt und jetzt höre ich, dass mich mein Mann mit seiner PR-Assistentin betrügt. Das ist so klischeehaft, billig und geschmacklos!
Erst jetzt lasse ich meinen Tränen freien Lauf.
12. Freitag - nachts
Der Club „Red Room“ ist laut, heiß und überfüllt. Ich werde von dem wummernden Beat und der Partystimmung vorwärtsgetrieben, bis ich an dem Bartresen lande. Der Barkeeper mustert mich interessiert, während er meine Bestellung aufnimmt und ich schenke ihm mein schönstes Lächeln. Es schmeichelt meinem Ego, dass ich auf Männer noch immer begehrenswert wirke. Hinter der Bar hängt ein großer Spiegel, in dem ich mich unauffällig betrachte, während ich an einem Glas Weißwein nippe. Obwohl ich noch immer die Nachwirkungen der Infusionen und Tabletten spüre, finde ich mich in der weichen, indirekten Beleuchtung erstaunlich gut aussehend. Meine blonden Haare schimmern und durch die Plateausandalen wirke ich groß und beeindruckend. Fehlt nur noch die Kamera für mein Selbstbewusstsein, aber ich habe sie zuhause nicht gefunden. Wahrscheinlich hat sie Gregor noch in seinem Wagen.
Auf den ersten Blick erinnert nichts mehr an die Frau, die noch vor wenigen Stunden Insassin einer privaten Nervenklinik gewesen ist und ziemlich am Ende war. Im Augenblick strotze ich vor Selbstsicherheit. Zwar habe ich das Mädchen mit dem Tinkerbell-Tattoo noch immer nicht gefunden, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sie doch noch hierherkommt. Irgendwie bin ich davon überzeugt, dass mir in dieser Nacht alles gelingt.
Meine Gedanken schweifen zurück. Kurz nachdem Brandt das Haus verlassen hat, machte sich auch Gregor auf den Weg. Wahrscheinlich fährt er zu A. M., dachte ich bitter, als ich in das Haus ging, mich ausgiebig duschte und umzog. Aber als mir einfiel, dass auch ich ihn mit Talvin betrogen habe, verrauchte meine Wut. Nicht so schnell wegstecken konnte ich hingegen das Gespräch, das ich belauscht hatte, vor allem Gregors unterschwellige Anschuldigung, dass ich die Schuld an dem Tod von Paul trage.
Doch ich bin nicht alleine schuld! Immer wieder ließ ich dieselbe Szene ablaufen, die sich in meinem Gedächtnis eingebrannt hat und nie wieder gelöscht werden kann. Paul klettert auf den Felsen herum, ich blättere gelangweilt in einem
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