Die Fotografin
überlege es mir aber dann doch und verschwinde wieder in der Dunkelheit, wie ein Gespenst. An einer menschenleeren Haltestelle steige ich in einen Autobus und fahre ziellos zwei oder drei Stationen durch die nächtliche Stadt. Als ich einmal zufällig nach vorne sehe, bemerke ich, dass mich der Fahrer durch den Rückspiegel beobachtet. Ich bin der einzige Fahrgast und noch dazu ohne Fahrschein. Also steige ich einfach bei der nächsten Station aus und suche mir doch ein Taxi. Gebe meine Adresse an, weil es ja egal ist. Man sucht so oder so schon nach mir, Noori hat sicher bereits Alarm geschlagen und Gregor ist schon auf dem Weg in die Klinik. Der beste Ort, um mich zu verstecken, ist also zuhause, denn niemand rechnet damit, dass ich ausgerechnet dort hingehe. In meiner gewohnten Umgebung kann ich dann einen Plan schmieden, um zu beweisen, dass Talvin Singh existiert.
Habe ich das Mädchen endlich gefunden, folgt der nächste Schritt. Dieser ist dann die direkte Konfrontation mit Marion Winter. Ich werde sie fragen, warum sie mich belogen hat, denn ich habe ja dann den Beweis, dass Talvin existiert. Aber dafür muss ich zunächst noch das Mädchen mit dem Tattoo finden.
Nach einer längeren planlosen Fahrt mit einem russischen Taxifahrer, dem ich den Weg ansagen musste, stehe ich jetzt hinter der Hecke des winzigen Gartens auf der Rückseite unseres Reihenhauses. Es brennt kein Licht und ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus. Das ist der Hafen, in dem ich Schutz finde, der mich in dieser stürmischen Nacht aufnimmt. Obwohl niemand im Haus zu sein scheint, bin ich vorsichtig und beschließe durch die hintere Gartentür hineinzugehen. Der Schlüssel für die Tür liegt – wenig originell – unter einem Blumentopf.
Gerade als ich den Schlüssel suche, um über die Terrasse in unser Wohnzimmer zu gelangen, wird die Terrassentür aufgeschoben und zwei Männer treten nach draußen. Im spärlichen Schein der Straßenlaterne, die ihr Licht bis auf unsere Terrasse wirft, erkenne ich Gregor und Brandt, den arroganten Imageberater der Partei. Beide flüstern und deshalb kann ich kein Wort verstehen, aber dem Tonfall nach scheint es sich um ein ernstes Gespräch zu handeln.
Warum waren die beiden Männer im dunklen Wohnzimmer? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Jetzt stehen sie auf der Terrasse und Brandt raucht eine Zigarette. Langsam geht er über die Pflastersteine auf die Gartentür zu. Ich halte den Atem an und mache mich so klein wie möglich, aber die Chance, dass er mich nicht sieht, wenn er durch die Gartentür auf die Straße tritt, ist minimal. Doch kurz vorher bleibt er stehen, dreht sich zu Gregor um, der noch immer auf der Terrasse steht und beide Hände in den Taschen seiner Anzughose hat.
„Du hast alles im Griff, Gregor?“ Brandts Stimme klingt zweifelnd, so als würde er genau das Gegenteil denken.
„Natürlich! Hans hat sein privates Wachpersonal bereits ausgeschickt, um sie zu suchen. Ich bin in ständigem Kontakt mit ihm.“
Jetzt spricht Gregor lauter und so kann ich auch jedes Wort verstehen. Man sucht also bereits nach mir. Was habe ich denn auch anderes erwartet? Das ist ein völlig normaler Vorgang!
„Na, hoffentlich finden die sie bald! Ich weiß nicht, wie lange ich die Medien noch von dieser Sache fernhalten kann! Deine Frau war schon immer ein Problem. Du hast gesagt, dass sich ihr Zustand gebessert hätte. Und jetzt diese Wahnvorstellungen. Wieso muss sie sich ausgerechnet vor dieser entscheidenden Wahl einen Liebhaber einbilden. Auch der Parteivorsitzende ist darüber nicht erfreut, wie du dir ja vorstellen kannst.“
Wütend drückt Brandt seine Kippe mit dem Absatz aus, klopft sich eine neue Zigarette aus der Packung, zündet sie aber nicht an, sondern lässt sie zwischen seinen Fingern kreisen, während er weiterspricht.
„Nun, wenigstens haben wir den Polizeibericht verhindern können! Gut, dass Atzbach, unser Anwalt, ein Golfpartner des Polizeipräsidenten ist. Niemand erfährt etwas über diesen Zwischenfall in dem indischen Laden. Weder die Medien noch die Funktionäre. Hast du das verstanden, Gregor?“ Brandt macht eine Pause und zündet sich doch hektisch seine Zigarette an. „Was sagt denn Mertens zu diesen Wahnvorstellungen?“, fragt er Gregor, ohne dabei die Zigarette aus dem Mund zu nehmen.
„Hans meint, es handelt sich um das Weglaufen von der Verantwortung. Adriana macht sich noch immer Vorwürfe, damals zu feige gewesen zu sein, einen Fehler
Weitere Kostenlose Bücher