Die Fotografin
Magazin, in respektvollem Abstand zum Meer, denn ich liebe zwar das Wasser, aber nur aus der nötigen Entfernung. Gregor steht an der Strandbar und telefoniert mit dem Parteivorsitzenden höchstpersönlich, was anscheinend eine große Auszeichnung ist. Paul turnt noch höher den Felsen hinauf, bis er das Plateau erreicht, von dem aus die guten Schwimmer und natürlich auch Gregor einmal ins Meer gesprungen sind. Oben warnt ein Schild vor den gefährlichen Unterströmungen, die für ungeübte Schwimmer tödlich sein können. Paul winkt und tanzt auf der Plattform umher und geht vor bis an den Rand. Er beugt sich weit nach vorne, sieht hinunter auf das trügerisch blaue und so unschuldig wirkende Meer. Wahrscheinlich überlegt er noch ein paar Sekunden, doch dann nimmt er all seinen Mut zusammen und springt.
„Juhuhu Mama!“, kreischt er. „Jetzt bin ich genauso stark wie Papa!“ Dann ist er auch schon unten und im Wasser verschwunden.
„Nein Paul, nicht!“, schreie ich und rase über den Kieselstrand. Doch es ist bereits zu spät. „Gregor! Hilfe!“, brülle ich in Panik und er blickt zwar überrascht hoch, hört aber nicht auf, zu telefonieren. Stattdessen nimmt er seine Taucheruhr vom Handgelenk und legt sie auf den Tresen, dreht an dem Ring. „Nur eine Minute! Er taucht ja gleich wieder auf“, ruft er mir beruhigend zu, um sich dann wieder seinem Telefonat zu widmen. In der Zwischenzeit müsste Paul längst wieder aufgetaucht sein und wie ein Sieger über das ganze Gesicht strahlen. Er ist ja trotz seiner fünf Jahre ein guter Schwimmer. Hektisch trample ich durch das Wasser, weiß aber, dass die Stelle, an der er unterging, sehr tief ist und dass ich nicht schwimmen kann. Überhaupt habe ich eine Abneigung gegen das Wasser und es kostet mich große Überwindung, durch die seichte Bucht zu laufen, um den Weg abzukürzen. Die Stelle, wo Paul auf dem Wasser aufgeschlagen ist, habe ich mir natürlich genau gemerkt. Jetzt ist sie vielleicht hundert Meter von mir entfernt, für mich aber unerreichbar.
„Gregor! Hilfe, unser Sohn ertrinkt!“, schreie ich panisch und mache auch andere Badegäste auf mich aufmerksam. Erst jetzt erkennt auch Gregor den Ernst der Lage, er lässt Handy und Uhr auf dem Tresen zurück und springt sofort ins Wasser, krault mit kräftigen Zügen zu der Stelle, die ich ihm zeige. Doch es ist bereits zu spät. Für ein beschissenes Telefonat hat Gregor das Leben seines Sohnes geopfert.
Der nette Barkeeper schenkt mir ein weiteres Glas Weißwein ein.
„Sind Sie verabredet?“, fragt er mich beiläufig, während er zwei kichernden Mädchen Gläser mit Aperol über die Theke schiebt. Flirten ist die beste Therapie gegen das Traurigsein, denke ich und drehe mich zu dem Barkeeper.
„Ja! Ich bin mit der Fee Tinkerbell verabredet“, sage ich und proste ihm zu.
„Oh, dann müssen Sie Wendy sein und ich bin Peter Pan“, antwortet er schlagfertig.
„Sie kennen die Geschichte?“ Ich nehme einen großen Schluck Weißwein und sprühe vor Energie, fühle mich so jung wie schon lange nicht mehr. „Sie wollen also auch niemals erwachsen werden?“
„Ich möchte niemals das kindliche Denken verlieren!“ Er beugt sich über die Theke und stützt sein Kinn auf die Hand, ignoriert die Bestellungen der anderen Gäste. Seine Augen sind grün und leuchten. „Kinder überlegen nie. Springen einfach ins kalte Wasser, ohne nachzudenken. Das imponiert mir.“
„Springen von einer Klippe und sind tot!“, sage ich mechanisch und mein inneres Feuer erlischt.
„Wie meinen Sie das?“, fragt der Barkeeper irritiert und richtet sich wieder auf.
„Ach nichts!“, wiegle ich ab und nehme mein Glas. „War nett, mit Ihnen zu plaudern!“ Dann drehe ich mich um und beobachte die Gäste. Ich will mich ablenken und nicht an meinen toten Sohn denken.
Plötzlich entdecke ich Raul in der Menge und bin unglaublich froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen.
„Raul!“, rufe ich und winke mit dem Arm, kämpfe mich durch die vielen Gäste bis zu ihm vor. „Ich freue mich ja so, dich zu sehen! Kannst du mir noch einmal verzeihen? Ich weiß, mein Verhalten war absolut unprofessionell!“ Doch als ich ihm einen Kuss auf die Wange drücken will, wendet er sich brüsk ab, streicht sich mit der Handfläche über seine schimmernde Glatze.
„Adriana! Du hast vielleicht Nerven! Glaubst wohl, damit wäre alles geregelt. Ist es aber nicht, also lass mich gefälligst in Ruhe!“ Er verdreht die Augen nach oben, so
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