Die Fotografin
mir am nächsten Tag einen Schlüssel nachmachen lassen, damit ich ungehindert Zugriff auf Gregors Unterlagen habe. Das Passwort seines Laptops kenne ich ja auch, es ist der Vorname des Parteivorsitzenden, wie originell!
Jetzt aber schnappe ich mir zunächst meinen Laptop, schleiche damit ins Wohnzimmer, öffne das Mailprogramm und warte, dass die Fotos, die ich mir von Gregors Handy geschickt habe, geladen werden. Das dauert und langsam werde ich wieder nervös. Es gilt, an die fünfzig Fotos zu betrachten und genau zu studieren, denn auf einem der Fotos habe ich den Messerblock entdeckt, da bin ich mir sicher. Im Schnelldurchlauf scrolle ich durch alle Bilder. Natürlich finde ich nichts und bin nahe daran, die Suche aufzugeben. Doch dann konzentriere ich mich auf die Aufnahmen des Küchenbereichs – und da sehe ich es: eine Aufnahme des Küchentresens, der kunstvoll wie ein Schiffsbug in den Wohnraum ragt. Ich sehe die Espressomaschine, die im Licht funkelt und blitzt, sehe einige Alessi-Accessoires und unscharf im Hintergrund den Messerblock! Ich zoome das Bild größer, bis sich alles in kleine Pixel auflöst und ich überhaupt nichts mehr erkennen kann. Deshalb wieder zurück und ganz langsam vergrößern: Jetzt erkenne ich das Detail! In dem Messerblock stecken vier Messer. Aber in meiner Erinnerung gab es zunächst fünf Messer. Das war ungefähr eine Woche vor Talvins Verschwinden. Mit diesem fehlenden Messer habe ich meinen Liebhaber erstochen und es auf den Boden geworfen – so jedenfalls könnte es gewesen sein, wenn ich mich erinnern würde.
Weshalb stecken aber in dem Messerblock nur vier Messer? Wenn sich alles nur in meiner Fantasie abgespielt hat, wie mir alle erklären wollen, wo ist dann das fünfte Messer? Das kann einfach kein Zufall sein. In meiner Erinnerung sehe ich die fünf Messer. Es war erst eine Woche, bevor ich beschlossen habe, mich von Talvin zu trennen. Das fehlende Messer ist die Mordwaffe! Ich sehe es auch immer ganz klar vor mir. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Aber wo ist dieses Messer? Habe ich es weggeworfen?
Egal wie man es dreht und wendet, ich weiß nur, dass ich morgen bei der Polizei eine Aussage machen werde. Ich kann mit dieser Ungewissheit einfach nicht mehr weiterleben! Ich werde vor der Polizei ein Geständnis ablegen. Ich werde aussagen, dass ich höchstwahrscheinlich meinen Liebhaber ermordet habe.
„Hallo Isabelle Wagner. Ich bin’s, Adriana See!“
Ich sitze auf der Toilette im Erdgeschoß unseres Hauses und warte darauf, dass mich die Polizistin Isabelle Wagner nach dem Grund meines Anrufs fragt. Ich muss flüstern, damit mich mein schlafender Mann nicht hören kann, sage ich entschuldigend und es klingt, als würde mich Gregor ständig bevormunden oder als hätte ich Angst vor ihm. Doch Isabelle Wagner fragt nicht weiter und lässt mich reden.
„Ich weiß jetzt, dass ich nicht verrückt bin! Ich habe ein Indiz dafür, dass ich mir das alles nicht eingebildet habe!“
„Ach ja, was für ein Indiz?“ Isabelle Wagner versteht schnell und stellt keine unnötigen Fragen, das schätze ich an ihr.
„Ich habe mich an den Messerblock erinnert. Talvin und ich hatten Sex, dann bin ich aufgestanden und habe die Messer berührt. Es steckten fünf Messer darin. Das war ungefähr eine Woche, bevor er verschwunden ist.“
„Frau See, wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?“ Isabelle Wagners Stimme wird härter und unwillkürlich krümme ich mich zusammen, umfasse mein Businesshandy mit beiden Händen, damit mir meine Gedanken nicht entgleiten.
„Aber meine beste Freundin hat Aufnahmen von der Wohnung gemacht und auf einem der Fotos ist der Messerblock zu sehen. Da waren aber nur noch vier Messer in dem Block. Die Mordwaffe fehlt also, mit der ich meinen Liebhaber erstochen habe!“
„Moment, Moment!“, unterbricht mich Isabelle Wagner schnell. „Welche Mordwaffe? Wen haben Sie erstochen? Wovon reden Sie eigentlich?“
Jetzt habe ich einen Fehler gemacht, das spüre ich ganz deutlich. Jetzt ist in Isabelle Wagner die Polizistin erwacht, die einen spektakulären Fall wittert, um damit endlich den lähmenden Streifendienst hinter sich zu lassen. Ich will aber nicht, dass sie mich jetzt aus meinem Haus abholt und von meiner Familie trennt. Deshalb schwäche ich meine unbedachte Aussage auch sofort deutlich ab.
„Nicht das, was Sie denken, Isabelle Wagner. Es ist nur ein ständig wiederkehrender Erinnerungsfetzen. Aber das werde ich Ihnen morgen alles
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