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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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ein Papiertaschentuch nach dem anderen vollweinte. Sie mochte kaum hinsehen und hatte sich statt dessen in der Buchhandlung umgeschaut.
    Das Sortiment war weniger pittoresk, als der Name des Ladens verhieß. Auch hier lagen die üblichen Bestseller ganz vorne auf dem Tisch.
    »Sie hatte sich gerade erst wieder gefangen.« Giselas Stimme klang belegt vom vielen Weinen.
    »Sie war gerade erst wieder sie selbst.«
    Was hatte Eva Rauch aus dem Ruder gebracht? Offenbar waren beide Eltern kurz hintereinander gestorben. Eigenartig – das sollte eine erwachsene Frau nicht verkraftet haben? Karen dachte ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen, daß sie ihrer Mutter eher sparsam hinterherweinen würde. Der guten Mutter. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dem lieben Mütterchen.
    Daß der Tod der Eltern Eva Rauch aus der Bahn geworfen haben sollte, war um so erstaunlicher, als sie die beiden Jahre, ja Jahrzehnte nicht gesehen haben dürfte. Eva Rauch hatte, wie nicht wenige ihrer Generation, das Soziologiestudium in Frankfurt abgebrochen, um die Welt zu sehen. Wo genau sie überall gewesen war, ließ sich nicht ohne weiteres rekonstruieren. Daß sie einige Jahre lang in Paris verheiratet gewesen war, war immerhin bekannt. Danach verlor sich ihre Spur, bis sie Anfang der 90er Jahre wieder in Frankfurt auftauchte.
    Erschießt sich so jemand, weil die Eltern gestorben sind?
    »Sie hatte doch nur mich!« schluchzte Gisela, als Karen nach Freunden fragte, nach Bekannten, Kontaktpersonen aller Art. Ob wohl Gisela…? Karen hatte die geschwollenen Augen und die rotgeschnupfte Nase vor Augen. Nein, sie vertraute dem Gefühl, das ihr sagte, daß diese Frau als Täterin auszuschließen war.
    Eine zufällige Gewalttat? Vielleicht. Doch auch dafür gab es keine Anzeichen. Ein überraschter Einbrecher? Ebenso unwahrscheinlich. Die Tür war ordnungsgemäß aufgeschlossen worden. Die Geldtasche, die Eva Rauch mitgebracht hatte, lag neben der Kasse. Andere Wertgegenstände gab es in der Buchhandlung nicht. Für die gebundene Ausgabe des neuesten Harry Potter war ja wohl noch niemand umgebracht worden.
    Der Arzt hatte lediglich festgestellt, daß sie eines unnatürlichen Todes gestorben war, und die ermittelnden Beamten hatten Fremdverschulden ausgeschlossen – also mußte es Selbstmord gewesen sein. Karen schüttelte unwillkürlich den Kopf. Ihr reichte das nicht, um die Akte zu schließen. »Sie sind gehalten, in solchen Fällen die relevanten Hintergründe zu ermitteln!« hörte sie den alten Oberstaatsanwalt Dr. Dr. Berger dozieren. Sie mußte mehr in Erfahrung bringen über die gut zwanzig Jahre im Leben der Eva Rauch, über die niemand etwas Genaues zu sagen wußte.
    Und vor allem war da die Tatwaffe – die »Selbstmord«-Waffe.

7
    Beaulieu
    A lle verstummten, als Alexa das Maison de la Presse von Charles Durand betrat. Der alte Rogier, der in der Ecke seinen Lottoschein ausfüllte, schaute hoch, runzelte die Stirn bei ihrem Anblick und schaute gleich wieder hinunter. Adèle, die Bäckersfrau, blätterte fahrig in der Zeitschrift, die sie in der Hand hielt. Und Durand selbst schien der kleinen dicken Sylvie, die zwei Päckchen Zigaretten in der Hand hielt, noch schnell etwas zuzuflüstern, bevor er sich mit einem reservierten Lächeln Alexa zuwandte.
    Normalerweise war ihr Französisch fließend – nur diesmal wollte es ihr fast die Sprache verschlagen. Alle schienen darauf zu warten, daß die Deutsche erledigte, was sie hergeführt hatte, damit sie sich endlich wieder ungezwungen unterhalten konnten. Alexa hob den Rucksack, den sie mitgebracht hatte, umständlich und mit beiden Händen hoch und stellte ihn auf den Stapel »Le Dauphiné du Sud«, der vor dem Tresen lag. Durand sah erst den Rucksack, dann, mit zusammengezogenen Augenbrauen, Alexa an. Dann blickte er in die Runde.
    Es war, als ob jemand eine Spieldose aufgezogen hätte, auf der sich Figuren bewegten. Sylvie schlängelte sich an Alexa vorbei zum Ausgang. Adèle winkte mit der Zeitschrift.
    »Ein Euro«, sagte Durand. Die Bäckersfrau schielte seitwärts nach Alexa und kramte in der Schürzentasche nach dem Geld.
    Der alte Rogier legte den Lottoschein auf den Tresen und hielt zwei Finger an die Krempe seiner Baskenmütze.
    »Ich schreib’s auf«, sagte Durand.
    Endlich ging auch Adèle. Charles Durand fuhr sich mit der Hand durch das dichte kastanienbraune Haar. Er war noch halbwegs jung, sicherlich noch keine 35, hatte das Gesicht eines melancholischen

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