Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
mehr allein.

6
    Frankfurt
    D er Justizwachtmeister, der schon zum zweiten Mal einen Aktenwagen voll mit Büchern aus ihrem Büro holte, die sie längst hätte zurückgeben müssen – darunter zwei mit rotem Punkt –, sah Karen von schräg unten an und sagte: »Vielleicht sollten Sie öfter mal Urlaub machen. Ich meine: rechtzeitig.«
    Da war was dran. Karen räumte das Büro selten auf. Aber heute war sie so gründlich, als ob sie ein Sabbatical und nicht einen Jahresurlaub nehmen wollte. Das fiel auch anderen auf.
    »Du läßt mich in diesem Laden doch wohl nicht alleine?« fragte Sarah, die Leiterin der Personalverwaltung, mit der sie sich seit Jahren duzte. Eine Weile schaute sie Karen beim Aufräumen zu und biß dabei von einem Baguette ab, das in einer weißen Papiertüte steckte. Jedesmal, bevor sie den nächsten Biß nahm, schob sie die Tüte ein Stück zurück. Irgend etwas irritierte Karen an diesem Anblick.
    »Wie ist sie denn?« fragte Sarah mit vollem Mund und zeigte mit dem Kinn in die Richtung, in der das Büro lag, das Angelika Kämpfer vor wenigen Tagen bezogen hatte.
    »Wie der Name schon sagt.« Karen entleerte den Papierkorb in einen grauen Müllsack.
    Sarah verschluckte sich fast vor Lachen. So komisch, dachte Karen, war das nun auch wieder nicht.
    »Ach! Sie verlassen uns?« rief OSta Karsten Müller vom Flur her ins Zimmer hinein. Er klang erfreut. Für einen Moment beneidete ihn Karen um die Freiheit, nichts und niemanden zu mögen.
    »Ich mach mich dann auf die Socken«, sagte Sarah und zielte mit der zusammengeknüllten Tüte auf den grauen Müllsack. Beim Herausgehen wäre sie fast mit Frank Euler zusammengestoßen. Der Anblick des Anwalts tröstete Karen. Ihr zurückhaltender kleiner Flirt endete vor einigen Jahren zwar reichlich abrupt, als seine Frau sich für seine Feierabendgestaltung zu interessieren begann. Aber sie mochten einander noch immer.
    »Karen!« Frank blieb im Türrahmen stehen.
    »Was ist denn hier los?«
    »Zwangsurlaub.« Sie strich sich die Haare glatt.
    »Und – die Sache Eva Rauch?«
    Karen hatte ihm die Angelegenheit kürzlich beim Mittagessen geschildert. Euler war nicht selten ihr Prozeßgegner gewesen in den letzten Jahren – dennoch oder vielleicht deshalb wußte er wohl am besten, was sie und wie sie sich fühlte bei einem Fall wie diesem.
    »Der Fall Eva Rauch ruht in den Händen von Frau Staatsanwältin Dr. Angelika Kämpfer. Wahrscheinlich in tiefem Frieden.«
    »Na, Schriftsätze wird sie ja wohl lesen können.« Sie sah ihm an, daß Frank dasselbe durch den Kopf ging wie ihr. Karen seufzte auf, setzte sich an den Schreibtisch und legte die Beine hoch. Der Anwalt blieb im Türrahmen stehen. Sein Gesicht sah nach drei Nächten Aktenstudium bei schlechter Beleuchtung aus.
    »Wenn man bedenkt, wie lange es gedauert hat, bis ich alle anderen endlich davon überzeugt hatte, daß wir Ermittlungsbedarf haben…«
    »Wieso arbeiten, wenn man’s auch lassen kann?« Frank grinste matt.
    Karen nickte. Ohne sie wäre die Sache Rauch im Strom institutioneller Trägheit untergegangen – als einer der Fälle, in denen es keinen Anhaltspunkt für ein Kapitalverbrechen oder Fremdverschulden gab, obwohl auch nicht viel für Selbstmord sprach.
    »Na ja…« Frank guckte an die Decke, wie er es immer tat, wenn er zum Plädoyer ansetzte.
    »Du machst dich natürlich nicht beliebter durch so was.«
    In der Tat nicht. Die Sache Eva Rauch war bereits der zweite Fall in diesem Jahr, den Karen für nachprüfenswert hielt. Ohne Not – denn auch bei der Staatsanwaltschaft gab es Erledigungstechniken, die das Leben leichter machten. Üblicherweise kriegte sie in der Abteilung II, Buchstaben R (ohne Re), Sa-Sal, die Akte auf den Tisch, die Polizei hatte ermittelt, und auf deren Befund verließ man sich – oder nicht. Bestimmt nicht, fand Karen, wenn so vieles unklar geblieben war: daß Eva Rauch an einem aufgesetzten Kopfschuß gestorben war und nur ihre eigenen Fingerabdrücke auf der Waffe gefunden wurden, bewies noch keinen Selbstmord.
    »Frank – es war Samstag. Der hinzugezogene Arzt war Kurts vom Notdienst, der ist spätestens um 11 Uhr vormittags dicht. Und der diensthabende Staatsanwalt hieß Jan Knecht – du kennst ihn.«
    Frank grinste. Knecht war spezialisiert auf Umweltstrafsachen und interessierte sich für nichts anderes. Erfahrungen mit Leichen hatte er noch nicht machen müssen.
    »Und das 13. Polizeirevier…« War bekannt für Dienst nach Vorschrift. Die Tote

Weitere Kostenlose Bücher