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Die Fotografin

Die Fotografin

Titel: Die Fotografin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Holzlager – so lange, bis der Prokurist mit den weichen Händen und den hervortretenden Augen glaubte, sie brauche einen Begleiter und er sei der Richtige dafür. Danach nahm sie einen Job in der Rechnungsabteilung eines Espressomaschinenherstellers an. »Haben Sie das eigentlich nötig, Frau Senger?« fragte die Büroleiterin eines Tages mit zitternder Stimme.
    »Müssen Sie sich lustig machen über uns?«
    Die Prinzessin war nicht auf die Idee gekommen, daß andere es womöglich nicht schätzten, wenn jemand freiwillig und ganz ohne Not tat, was sie tun mußten.
    Oft dachte sie, daß das viele Geld Edwin Schwarz’ subtile Rache war. Sie hatte zum Glück der beiden nichts beigetragen, im Gegenteil, sie hatte es ihnen getrübt, wo immer sich eine Chance bot. Siehst du, sagten Edwins Millionen nun zu ihr: Du kannst nichts. Niemand braucht dich. Ohne uns bist du gar nichts.
    Aber Rache paßte nicht zu Edwin Schwarz. Er liebte seine Frau und um ihretwillen auch die undankbare Stieftochter. Und das war die schlimmste Strafe: der Tod der beiden in der kalten See, in die die Piper gefallen war, an einem nebligen Herbstabend, nach einem Kurzurlaub auf Sylt.
    »Sie müssen jetzt ruhig bleiben«, hatte der Polizist gesagt, der ihr die Nachricht überbrachte. Aber sie war in dem Moment ganz ruhig gewesen. Sie ahnte, daß sie wieder zu spät war, wieder den Zeitpunkt verpaßt hatte.
    Wie immer.
    Alexa mußte den Rucksack abstellen, um das schwere Tor aufschließen zu können. Auf der Treppe flog ihr Felis entgegen, mit einem spitzen Schrei, der klang, als ob sie sich darüber beschwerte, so lange allein gelassen worden zu sein. Alexa fütterte und streichelte das Tier ohne die sonst übliche Hingabe. Dann legte sie den Rucksack auf den großen Eßzimmertisch und hob die Kamera, das Objektiv und das, was Durand »Visoflex« genannt hatte, heraus.
    Erst setzte sie das Objektiv ein. Die Leica ist eine Sucherkamera, hatte Durand erklärt, man sieht also, auch mit Teleobjektiv, die Dinge, wie sie sind – nicht vergrößert. Sie blickte durch den Sucher. Er hatte recht. Dann setzte sie das Visoflex auf die Kamera, ein Teil, das wie eine Haube aussah. Es verwandelt die Sucherkamera in eine Spiegelreflexkamera, hatte Durand doziert. Das mochte schon sein, aber sie interessierte der Effekt, den das hatte: Sie konnte auch ferne Objekte nah heranholen.
    Es fiel ihr nicht leicht, den Apparat so zu balancieren, daß er gut in der Hand lag. Am einfachsten war es, wenn sie sich hinsetzte, sich zurücklehnte, die Kamera mit der rechten, das Objektiv mit der linken Hand hielt und in den Himmel blickte.
    Sie versuchte, dem roten Motordrachen zu folgen, der über ihr Richtung Abendsonne flog. Sie hatte schon immer sehen wollen, wer da fast täglich in dem kleinen brummenden Fahrzeug durch die Luft flog, hinter dem ein Werbebanner flatterte. Letzte Woche hatte das Banner für einen Besuch in der Grotte von Orgnac geworben, gestern für das Volksfest mit Eselsrennen in Beaulieu. Sie drehte das Objektiv weit heraus und versuchte, die Schärfe richtig einzustellen. Sie hatte bislang nur Kameras gekannt, die das von alleine taten.
    Die winzige Gestalt in dem seltsamen Gefährt da oben schien sich herauszulehnen und ihr zuzuwinken. Mehr konnte sie nicht erkennen. Sie folgte ihr, bis der Kirchturm den Motorflieger verdeckte. Alexa senkte die Kamera ein wenig. Die Reihe Häuser unterhalb der Kirche rückte plötzlich ganz nah heran. Sie mußten alle mindestens so alt sein wie ihres.
    Das Dach des einen war frisch gedeckt, ein anderes trug Schindeln aus grauem Schiefer, zwischen denen Gras zu wachsen schien; die unebenen Platten sahen aus wie ein Federkleid. Oder wie glänzende Fischschuppen. Zwei weitere Dächer waren bedeckt von den für diese Gegend typischen dunkelrot gebrannten Dachpfannen, die an überdimensionierte, längs geteilte Makkaroni erinnerten und »Nonne und Mönch« hießen, weil sie wie zwei Hände ineinandergelegt wurden. Sie ging mit der Kamera etwas höher. Über den Dächern erhob sich ein Wald aus Schornsteinen und Kaminen, einer bizarrer als der andere.
    Der schönste sah aus wie ein maurisches Minarett, er war rund und mußte einstmals blau angestrichen gewesen sein. Oben trug er einen spitzen Hut mit vielen Öffnungen, wie bei einem mittelalterlichen Taubenturm. Auf einem schmaleren Schornstein schräg daneben lag eine Platte, darauf spitze Steine – wie kleine Pyramiden oder Stalagmiten –, darauf wieder eine Platte.

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