Die Fotografin
könnten uns heute abend treffen…« Paul klang auf rührende Weise besorgt. »Was essen. Was trinken.«
Guter, lieber Paul. »Ich bin in einer Stunde bei dir.«
»Halt dich ran«, sagte er und lachte leise.
»Dann schaffst du es in 50 Minuten.«
13
Beaulieu
A uf dem Weg zum Bäcker fielen Alexa die vielen alten Herrschaften auf, die vor der Kirche standen mit grünen Zweigen in der Hand. Von weitem sah sie Lucien Crespin, er trug einen schwarzen Anzug. So hatte sie ihn noch nie gesehen. War jemand gestorben? In dem Alter, in dem die meisten waren, die da vor der Kirche standen und schwätzten, trug man wahrscheinlich alle naselang alte Freunde zu Grab. Alexa fühlte sich mit einem Mal mutterseelenallein. Man mußte nicht alt sein, um das Gefühl zu haben, daß man vereinsamte. Das ging auch schon mit 29.
Vor dem Café nahm man seinen Grand Crème in der Sonne, drinnen sah sie die Kampftrinker des Dorfes an der Bar stehen, beim ersten oder zweiten Pastis des Tages. Vor der Boulangerie stand ein junges Pärchen in Motorradkluft und schien sich zu streiten. Renoirs gescheckter Kater schlich einem Kätzchen hinterher, das sie entfernt an Felis erinnerte. Drei Fahrradfahrer in papageienbunter Kluft fuhren in gemütlichem Tempo über die Hauptstraße und unterhielten sich dabei. Für einen Moment hatte Alexa das Gefühl, sie vermisse etwas. So etwas wie Zugehörigkeit? Sie strich den Gedanken und ging die steile Treppe an der Kirche entlang hinunter zum Haus.
In der Küche legte sie das Brot auf den Tisch, nahm der Katze die Schinkenschwarte weg, mit der sie nur noch spielte, statt sie zu essen und machte sich ans Werk, von dem sie hoffte, es noch nicht völlig verlernt zu haben. Für wen hätte sie in den letzten Jahren Kuchen backen sollen? Die Künste einer höheren Tochter waren nicht gerade zeitgemäß. Wenigstens gute Französischkenntnisse hatte ihr die ungeliebte Schulzeit eingebracht, dafür konnte man dankbar sein, wenn es sein mußte.
Als der Kuchen abgekühlt, aber noch warm war, war es Kaffeezeit geworden. Sie stürzte ihn auf ein Brett und trug ihn hinüber zu Crespin.
Der Alte stand vor dem Torbogen, hinter dem es in den Keller ging. In der Mitte des Bogens, unter dem Schlußstein, hing ein dicker, vom Rost rotbraun gewordener Haken, daran ein Seil, daran eine Gießkanne, an deren Tülle ein weiteres Seil hing. Zu Crespins Füßen duckte sich der Hund. Das rote Fell von Ruby war weiß vor Schaum. Der Köter hatte den Schwanz zwischen die Beine geklemmt und quengelte leise, als er Alexa sah. Dann duckte er sich noch tiefer, als Crespin an der Strippe zog und der erste Schwall aus der Gießkanne über ihm niederging.
Crespins Gesicht erhellte sich, als er den Kuchen auf dem Brett in Alexas Hand sah. »Ich koche gleich Kaffee!«
Dann bekam der arme Hund die zweite Ladung Wasser über das schüttere Fell. Alexa konnte gerade noch zur Seite springen und die Treppe zu Crespins Haus hinaufhechten, als das Tier sich zu schütteln begann. Vom Kirchturm her schlug es vier Uhr. Nachdem Crespin den Hund mit einem Lumpen abgetrocknet hatte, kam er mit dem vor Erschöpfung zitternden Ruby hinterher. Wieder ertönten vier Glockenschläge.
»Warum zweimal?« fragte Alexa. Sie fragte sich das, seit sie hier wohnte.
Crespin ging voran in die Küche. »Für den Fall, daß jemand beim ersten Mal nicht zugehört hat«, sagte er.
Er füllte die Espressokanne und stellte sie auf den Herd. Als er Milchkännchen und Zuckerdose zum Küchentisch brachte, an dem Alexa bereits saß und den Kuchen anschnitt, grinste er, als ob jemand einen gelungenen Streich begangen hätte.
»Eines Tages – es war schon Herbst, es muß nicht lange nach der großen Überschwemmung gewesen sein –, eines Tages hörte die Glocke gar nicht mehr auf zu schlagen.«
Er schien auf irgend etwas zu warten, vielleicht auf ein entgeistertes »Nein! Sagen Sie bloß! Wie konnte denn das geschehen?«
»Hmmm?« machte Alexa und legte dem alten Mann ein Stück Kuchen auf den Teller.
»Ich war im Garten, hatte umzugraben, hab nicht gleich darauf geachtet. Aber als Gerard kam… Und Adèle…« Das halbe Dorf war offenbar auf dem Kirchplatz zusammengelaufen, um zuzuhören, wie die Glocke versuchte, sich heiser zu bimmeln.
»Der Küster war mit seinem Auto in der Werkstatt, der Pfarrer bei einer letzten Ölung, der Organist im Urlaub und der Gemeindehelfer nicht aufzufinden…« Crespin kicherte in sich hinein.
»Adèle bekam einen Schreikrampf und
Weitere Kostenlose Bücher