Die Fotografin
ganz positiv verlaufen und nächste Woche erhalte ich einen Probejob. Es läuft also prächtig und ich mache in jeder Hinsicht große Fortschritte. Das wird mir von allen Seiten versichert und selbst Brandt, der Imageberater, hat mir einmal eine importierte Tafel Schokolade mit Chili vorbeigebracht.
Frieda, meine Pflegerin kommt auch nur noch einmal die Woche, um mit mir die therapeutischen Übungen zu machen. Ich kann mich völlig frei bewegen und nichts erinnert mehr an die dunkle Zeit von früher. Zweimal pro Woche besuche ich die psychoanalytischen Sitzungen bei Dr. Mertens, der mich langsam wieder auf die Wirklichkeit vorbereitet, in der es nur mehr Gregor und mich gibt.
15:30 Uhr
Das Wetter schlägt plötzlich um, der Himmel ist bewölkt und es sieht nach einem Gewitter aus. Um mir von der düsteren Stimmung nicht die Laune verderben zu lassen, beschließe ich, unseren Keller aufzuräumen. Ziemlich aufgekratzt wirble ich durch das Schlafzimmer, summe alte Schlager vor mich hin, öffne meinen Schrank, wühle mich durch meine Kleider, um das passende Outfit für diese Aufräumaktion zu suchen.
Ich finde auch ein paar uralte Jeans, die ich noch vor meiner Schwangerschaft getragen habe und die mit ihren Löchern und Rissen derzeit wieder total in ist. Gregor hasst übrigens diesen Look, deshalb trage ich sie jetzt auch nur beim Hausputz und werde mich umziehen, ehe er kommt. Um meine Haare binde ich ein geblümtes Tuch und auf dem Weg nach unten in den Keller kann ich nicht widerstehen, mich in dem großen Spiegel in der Diele ausgiebig zu betrachten. Durch die Tabletten bin ich im Gesicht und um die Hüften leider ein wenig aufgeschwemmt, deshalb bekomme ich die Jeans vorne auch nicht mehr zu, aber das kaschiere ich ganz geschickt mit dem lappigen T-Shirt, das weit darüber fällt. Ein Grund mehr, mit den Psychopharmaka aufzuhören, denke ich trotzig und finde mich trotzdem verdammt gutaussehend.
Direkt am Fuß der Kellertreppe sind Waschmaschine und Wäschetrockner installiert, man kann sie vom Erdgeschoss aus zwar nicht sehen, aber Gregor war nie sonderlich glücklich mit diesem Standort. Als Paul noch am Leben war, hat Gregor sich oft über den ständigen Lärm der Waschmaschine beschwert, schließlich gibt es bei einem aufgeweckten kleinen Jungen jede Menge zu waschen. Doch seit Pauls Tod ist die Waschmaschine für ihn kein Thema mehr.
Im vorderen Teil des Kellers steht eine überdimensionale Gefriertruhe, die Gregor vor einiger Zeit angeschafft hat, um große Mengen Lebensmittel einzufrieren für die Fälle, in denen wir Abendessen für seine Parteifreunde veranstalten. Denn unser Leben wird sich ändern, wenn Gregor erst einmal Minister ist. Dann werden Arbeitsessen hier bei uns an der Tagesordnung sein. Ich bin schon sehr neugierig auf diesen neuen Abschnitt in meinem Leben.
Auf der Gefriertruhe liegen jede Menge Laufhosen und Jacken von Gregor. Ich packe seine Sportsachen in einen großen Plastikkorb, wundere mich, dass viele der Stücke überhaupt nicht verschwitzt, sondern fast nach frischem Waschmittel riechen, aber Gregor war schon immer ein Pedant und ein Sauberkeitsfanatiker. Jetzt bemerke ich auch, dass die Gefriertruhe auf höchster Stufe läuft und ich beschließe, Gregor abends von dieser Energieverschwendung zu erzählen. Denn ich kann mich nicht erinnern, dass wir in letzter Zeit viele Lebensmittel eingefroren hätten, aber ich war natürlich auch nicht immer hier, sondern zeitweise in der Klinik.
Der große Kellerraum dahinter ist das absolute Chaos. Alles systematisch zu ordnen, ist eine Aufgabe, der ich mich aber gewachsen fühle. Damit ist auch der Nachmittag sinnvoll ausgefüllt und ich werde gar keine Zeit haben, auf dumme Gedanken zu kommen. Kleidungsstücke liegen auf dem Boden und alte Teppiche, Bilderrahmen und Schachteln mit alten Parteiprogrammen und Imagebroschüren stehen umher. Die ganze hintere Wand ist mit einem Metallregal verbaut, in dem wir zerfledderte Bücher und alte Zeitschriften gelagert haben, die wir einfach nicht wegwerfen wollten, weil sie mit Erinnerungen verknüpft sind. Aber natürlich haben wir weder die Bücher noch die Zeitschriften jemals wieder hervorgeholt, um in der Vergangenheit zu schwelgen.
Um die Zeit totzuschlagen, setze ich mich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dein Steinboden und blättere gedankenverloren alte Zeitschriften durch, verliere mich in Erinnerungen. Überall im Keller stehen die Kartons mit meinen persönlichen Sachen.
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