Die Fotografin
Jetzt ist auch mein Hals bereits ganz ausgetrocknet und das Schlucken fällt mir schwer. Mein Herz rast und der Schweiß, der mir in Bächen den Rücken hinunterrinnt, ist eiskalt. Jetzt kommt sie, die Angst, die Todesangst, in dieser Aufzugkabine zu ersticken.
Mit einem gurgelnden Schrei springe ich auf, schlage mit den Fäusten gegen die Alutüren, versuche meine Fingerspitzen in den engen Spalt zwischen den beiden Türen zu pressen, um so die Türhälften auseinanderzuschieben. Doch auch diese Kraftanstrengung führt zu nichts, sondern erfüllt nur den einen Zweck, dass die Luft in der Kabine weniger wird und mir das Atmen noch schwerer fällt als zuvor.
Ich darf die Panik nicht zulassen!, denke ich und im selben Moment überfällt sie mich blitzartig und mitleidlos. Ich hämmere mit den Fäusten gegen die Alutüren, die unter meinen Schlägen vibrieren und schreie mir die Seele aus dem Leib. Vergeblich. Mir wird schwarz vor Augen und obwohl ich hektisch atme, kommt keine Luft in meine Lungen, mein Herz rast und das Blut in meinen Schläfen pocht. Dann sinke ich auf dem Boden zusammen, schluchze und wünsche mir, nie in diesen verdammten Aufzug gestiegen zu sein, möchte einfach wieder zurück in mein dunkles Zimmer und zu meiner Familie.
Mit einem sanften Ruck setzt sich der Aufzug plötzlich wieder in Bewegung, spuckt mich im dreizehnten Stockwerk aus, als wenn nichts geschehen wäre und während ich an der Wand lehne, heftig atme und um Fassung ringe, beginnt mein Kopf bereits wieder ein Eigenleben zu führen: Was wäre, wenn ich mir diesen kurzen Defekt des Aufzugs nur eingebildet hätte? Wenn überhaupt nichts passiert ist? Wenn alles nur eine Halluzination war?
Hastig starre ich auf die Digitaluhr auf dem Display meiner Kamera, kann mich aber natürlich nicht mehr an die genaue Zeit erinnern, wann ich in die Kabine gestiegen bin. Jetzt bemerke ich auch, dass ich meine Fliegeruhr zuhause auf dem Nachttisch vergessen habe. Ich bin also ziemlich unüberlegt und konfus hierher gefahren. Aber wo ich schon einmal hier bin, muss ich die Geschichte auch durchziehen. Das heißt, ich muss mich wie so oft zusammenreißen und darf mich nicht von meinen Zweifeln an den Rand des Abgrunds drängen lassen. Also hinke ich mit meinem verstauchten Knöchel einen gelb gestrichenen Gang entlang, bis ich vor Isabelle Wagners Tür stehe und klingle.
„Sie schon wieder! Was wollen Sie?“
Isabelle Wagners Stimme ist kurz angebunden und klingt leicht zittrig, genauso wie ich sie in Erinnerung habe.
„Ich will mit Ihnen reden!“
„Machen Sie, dass Sie verschwinden! Sie haben mir schon genug Ärger verursacht!“ Isabelle Wagner versucht, mir die Tür vor der Nase zuzudrücken, aber ich gehe mit dem Fuß dazwischen und fotografiere wie ein Paparazzo und ohne Blitzlicht ihr aschfahles Gesicht. Ich muss mich später überzeugen können, dass ich auch hier gewesen bin. Das ist zwar exzentrisch, aber Isabelle Wagner verhält sich so, als hätte sie es nicht mitbekommen.
„Ich will mich entschuldigen! Bitte, lassen Sie mich für einige Minuten herein, damit ich Ihnen alles erklären kann!“
Es steht auf Messers Schneide. Isabelle Wagner zögert, kämpft mit sich, ob sie mich in ihre Wohnung, in ihr einsames Reich lassen soll. Schließlich nickt sie kurz, tritt zur Seite und lässt mich hinein. Ich registriere alles wie in einem Film. Ein grauer Teppichboden im Flur, auch Wände und Türstöcke sind grau gestrichen. Das soll auf Besucher wohl einen stylischen Eindruck machen, auf mich wirkt dieses massive Grau aber nur deprimierend und trostlos. Nirgends ein Farbklecks, keine Bilder an den Wänden. Nur eine Fotografie neben der Garderobe. Isabelle Wagner in Uniform mit einer Urkunde, die sie schräg in die Kamera hält. Sie lächelt nicht. Auf einem Bord liegen Schlüssel und ein zerdrückter Plastikbecher in einem durchsichtigen Beutel. Für einen Augenblick glaube ich, dass es derselbe Plastikbecher ist, den Gregor vor einigen Tagen auf dem Revier Isabelle Wagner vor die Füße geworfen hat. Aber das kann nicht sein.
Im Wohnzimmer setze ich mich auf ein graues abgewetztes Stoffsofa, während sich Isabelle Wagner gegenüber auf einem niedrigen Hocker niederlässt, der farblich zu dem Sofa passt. Sie macht kein Licht, nur die Beleuchtung am Gang und die Lichter, die aus den Fenstern im Wohnblock gegenüber in den Raum scheinen, erhellen die Szenerie. Hinter Isabelle Wagner befindet sich ein riesiges Terrarium, das die ganze
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