Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Stunden mit Nichtstun, denn im Soldatenleben wechseln sich viel zu aktive, erschöpfende Perioden mit leeren Perioden ab, die durch Märsche und Reinigungsarbeiten ausgefüllt werden. Aber hier beim Feldzug durch nichts. Viele schliefen, reinigten ihre Waffen, bis sie deren kleinsten Kratzer kannten, oder bemühten sich, besseres Essen aufzutreiben.
Salagnon nutzte die Freizeit, um zu zeichnen; wenn die Zeit stillzustehen schien, empfand er ein Prickeln in den Augen und ein Kribbeln in den Fingern. Auf dem amerikanischen Packpapier, von dem er noch einen Vorrat hatte, zeichnete er Mechaniker mit nacktem Oberkörper, die über Panzermotoren gebeugt waren, andere reparierten im Schatten von Pappeln Lastwagenreifen, wieder andere füllten unter dem zitternden Laubdach Benzin mithilfe von dicken Schläuchen um, die sie fest umschlungen hielten; er zeichnete Maquisarden, die hier und dort zwischen Blumen im Gras lagen, und gab den Wolken, die am Himmel entlangzogen, eine Form. Er zeichnete Euridice, die vorüberging. Er zeichnete sie mehrfach. Einmal, als er sie zeichnete, ohne an etwas Bestimmtes zu denken, sondern ganz auf seinen Bleistift konzentriert war und die Linie, die dieser hinterließ, legte sich eine Hand auf seine Schulter, aber so sanft, dass er nicht zusammenzuckte. Kaloyannis bewunderte stumm die Silhouette seiner Tochter auf dem Papier. Salagnon war wie erstarrt und wusste nicht, wie er reagieren sollte, ob er er ihm die Zeichnung stolz präsentieren oder sie verstecken und sich entschuldigen sollte.
»Sie haben eine wunderschöne Zeichnung meiner Tochter angefertigt«, sagte er schließlich. »Wollen Sie nicht öfter ins Lazarett kommen, um ein Porträt von ihr anzufertigen? Ich hätte gern eins von ihr.«
Salagnon willigte mit einem Seufzer der Erleichterung ein.
Salagnon besuchte Roseval oft. Sobald Roseval die Augen schloss, zeichnete Salagnon ihn. Er gab ihm ein sehr reines Gesicht, in dem man nicht den Schweiß sah und nicht den pfeifenden Atem zu hören glaubte, in dem man nicht die verkrampften Lippen ahnen konnte und auch nicht das Zittern, das von seinem verbundenen Bauch ausging und seinen ganzen Körper durchlief. Er zeigte nicht seine Blässe, die eine grünliche Färbung annahm, er deutete nicht die unzusammenhängenden Worte an, die er mit geschlossenen Augen stammelte. Er zeichnete das Porträt eines etwas müden Mannes, der auf dem Rücken lag. Ehe Roseval die Augen schloss, hatte er die Hand seines Kameraden ergriffen, sie ganz fest gedrückt und sehr leise, aber deutlich gesagt: »Weißt du, Salagnon, ich bedaure nur eins. Nicht, dass ich sterbe, das ist nun mal so. Daran lässt sich nichts ändern. Aber ich bedaure, dass ich sterben muss, ohne je mit einer Frau geschlafen zu haben. Das hätte ich gern getan. Kannst du das für mich tun? Wenn es für dich so weit ist, denkst du dann an mich?«
»Ja, das verspreche ich dir.«
Roseval ließ seine Hand los, schloss die Augen, und Salagnon zeichnete ihn auf dem dicken brauen Papier, mit dem die amerikanische Munition eingepackt war.
»Sie zeichnen ihn, als schliefe er«, sagte Euridice über seine Schulter hinweg. »Dabei leidet er.«
»Er sieht sich selbst ähnlicher, wenn er nicht leidet. Ich möchte ihn so im Gedächtnis behalten, wie er war.«
»Was haben Sie ihm versprochen? Ich habe beim Hereinkommen gehört, dass Sie ihm etwas versprochen haben, ehe er Ihre Hand losgelassen hat.«
Er errötete leicht und versah seine Zeichnung mit ein paar Schatten, die seine Züge etwas hohler wirken ließen, wie ein Schläfer, der träumt, ein Schläfer, der noch ein Innenleben hat, auch wenn er sich nicht mehr rührt.
»An seiner Stelle zu leben. An der Stelle jener zu leben, die sterben und das Ende des Kriegs nicht erleben.«
»Werden Sie das Ende erleben?«
»Vielleicht, oder auch nicht. Aber dann wird jemand anders es an meiner Stelle erleben.«
Er zögerte, ob er seiner Zeichnung noch etwas hinzufügen sollte und verzichtete schließlich darauf, um sie nicht zu verderben. Er wandte sich zu Euridice um, blickte zu ihr auf, sie sah ihn jetzt ganz aus der Nähe an.
»Wären Sie bereit, an meiner Stelle zu leben, wenn ich vor Kriegsende sterbe?«
Auf der Zeichnung schlief Roseval. Ein friedlicher, schöner junger Mann, der wartend, erwartet in einem Blumenfeld lag.
»Ja«, flüsterte sie und errötete, als habe er sie geküsst.
Salagnon spürte, wie seine Hände zitterten. Sie gingen gemeinsam aus dem Feldlazarett, und mit einer
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